Mix or die trying! Oder wie man einen fremden Mix hinbiegt

  • Mix or die trying!


    Oder: Von der schwierigen Aufgabe, einen fremden Mix auf Vordermann zu bringen


    Es ist schon wieder mal passiert. Eigentlich wollte ich mir nur ein verd...tes Konzert reinziehen. Mal nur so als Zuhörer. Gar nicht selber an den Knöpfen drehen. Ich hätte sogar Eintritt bezahlt, so normal hätte der Abend werden sollen, aber die Band wollte lieber später den Hut rumgehen lassen. Nur war ich da schon längst ganz woanders. Wie konnte es nur dazu kommen? Hier also eine kurze Geschichte von Leid und Schmerz und Fifty Shades of Sound-Improvement sowie den zugehörigen Gedankengängen.


    Dummerweise also erschien genau nach dem zweiten Song das Bat-Signal auf meinem Telefon, begleitet von einem verdrehten und verbogenen Violinenschlüssel. Das konnte nichts Gutes bedeuten, wusste ich doch, dass mein Kumpel P. an diesem Abend eine größere Veranstaltung in A-City zu wuppen hatte. Offenbar gab es dort Probleme. Zwei SMS später sassen wir, also Mrs. Incredible und meine Wenigkeit, im Bluesmobil und waren auf dem Weg von M-City (für diese Geschichte kurz in Mothham umgetauft) nach A-City. Unterwegs noch ein paar zunehmend panischer werdende Anrufe meines Compagnons, die Stimmen seien zu leise, Feedbacks kämen von irgendwoher, und überhaupt klänge es nicht so wie es sein sollte.


    Am Ort des Geschehens angekommen, werden wir direkt zur Schaltzentrale der Macht gebracht - ein analoger Mischer vom robusten D und ein Siderack, welches mich noch vor fünf Jahren neidisch gemacht hätte, aber heute ist mir eine Digitalpult deutlich lieber - weniger Schlepperei und nix extra zu verkabeln. Je zwei Kompressoren (in Benutzung) und Channelstrips (nicht benutzt) von Mindprint, ein SPX-1000 für den Hall, ein heute nicht verwendetes TC electronic M-350 und diverse Alesis-Kompressoren, dann wieder in Benutzung div. EQs von Yamaha für die Monitore. Für die Summe ist es leider nur der simple 12-Bänder des Pultes, aber der muss dann heute eben ausreichen.


    Weiter am Start: Vier Handfunken, davon zwei Line6 V75, eine neuere Sennheiser G3 1G8 mit dem 845er-Kopf sowie eine alte aus der G2-Serie mit dem 835er-Kopf. Letztere ist nicht so meins, die Stimme kommt etwas verhangen, aber der Rest der Mikros klingt schon ohne Nachbearbeitung ziemlich gut.


    Als PA etwas Mächtiges für diese kleine Stadt- oder Gemeindehalle, nämlich je zwei QSC kW 181 und zwei kW1531 pro Seite - die Bässe stehen ordentlich übereinander (gut), aber die Boxen strahlen einfach parallel, nix mit "gegeneinander verdreht" oder übereinander getürmt. Nicht so gut, denn dadurch fangen wir uns Überlagerungen im Zuschauerraum ein. Okay, lässt sich jetzt nicht mehr ändern, dann müssen die Gäste heute eben mit den kalten und heissen Zonen leben. Ausserdem ist die Halle mit Bänken und Tischen ausgestattet, also meist sitzendes Publikum, und dann gewöhnt man sich an den etwas zu höhenreichen oder zu dumpfen Sound. Das Gehirn ist das wichtigste Hörorgan von allen und hat zum Glück wunderbare korrigierende Fähigkeiten!


    Den Abschluss der Beschreibung machen zwei QSC K-12 als Monitore. So sehr ich diese als PA für ihren deutlichen und "anspringenden" Sound schätze, bei ihrem letzten Monitoreinsatz haben diese Teile uns Feedbacks in vollkommen abstrusen Frequenzregionen beschert, nämlich vorwiegend im Bereich 8 bis 12 kHz, was mir in dieser drastischen Ausprägung noch nie passiert ist. Normalerweis ist es so, wenn ich bei anderen Monitoren in anderen Räumen ein paar Feedbacks zwischen 2,5 und 4 kHz gekillt habe, kommen dann ein paar im mittleren Frequenzbereich (so 600 Hz bis 1,5 kHz) und DANN kommen vielleicht noch das eine oder andere Feedback zwischen 8 und 12 kHz. Nun denn. Mein Kollege hat darauf reagiert, indem er oberhalb 4 kHz alle Regler des EQ abgesenkt hat. Nicht schön, aber es pfeift auch nicht von den Monitoren.


    Ich beginne die soundtechnische Rettungsaktion, während Mrs. Incredible von der Frau meines Kollegen mit Getränken und allen möglichen Vietnamesischen Leckereien überhauft wird. Wen's interessiert: Wir feiern hier das buddhistische Neujahrsfest, zwar mit zwei Wochen Verspätung, aber das ging dieses Jahr wegen der Kollision mit den ganzen Faschingsveranstaltungen eben nicht anders.


    Die Veranstaltung ist so gestaltet, dass im Lauf des Abends rund 30 Acts über die Bühne toben, dazwischen Moderation, eine Tombola, etwas Tanz der Gäste im Saal ohne Action auf der Bühne, etc. Meist ist es Playback plus Gesang (bis zu vier Stimmen, meist aber nur eine oder zwei), manchmal sind ein bis zwei Akustikgitarren dabei. Größtenteils also nichts übermäßig Kompliziertes. Nun denn, los gehts.


    Einen fremden Mix in laufender Show durchzuoptimieren, empfinde ich grundsätzlich als recht schwierig - andere Vorgehensweisen, andere Geschmäcker in Sachen Sound und Abstimmung. Hier also nun meine Gedankengänge und Aktionen. Ich gehe bei solchen Putzaktionen nach der ZEN-Methode vor. Das heisst, welches Problem zieht gerade die meiste Aufmerksamkeit auf sich, was wirkt am störendsten, ist also nicht ZEN? Auf dieses eine Problem konzentriere ich mich zuerst, elimiere oder lindere es, bis es wieder erträglich wird - richtig gut wird es bei solchen Rettungsaktionen nicht unbedingt, es geht nur darum, dass es einigermassen okay wird. Danach das (ehemals) zweitschlimmste Problem, welches nach Lösung des ersten nun das schlimmste Problem ist, usw. usf.


    Normalerweise sind die störendsten Probleme Feedbacks, denn dieses Pfeifen ist einfach nur nervtötend, gesundheitsschädlich und dazu noch materialschädigend. Wir sind aber gerade bei einer reinen Tanznummer, als ich dazu komme. Hier ist also erstmal kein Feedback zu hören. Was mir am meisten auffällt, sind deutlich hörbare Resonanzen im Bassbereich, und als zwei Mikros bei der Moderation danach wieder aktiviert werden, ist ein Nachklingen im Bassbereich zu hören, ein beginnendes Feedback im Tiefenbereich sozusagen. Erste Aktion also: Mittels RTA auf dem Smartphone die störenden Frequenzen finden und am Master-EQ des Pultes absenken. Schon besser, sowohl der Sound als auch das Nachklingen. Wahrscheinlich war es einfach nur Glück, aber für die Korrektur der Summe empfand ich den 12-Band-EQ am Pult als ausreichend. Klar hätte man es mit 31 Bändern noch besser hinbekommen, aber für einen Mix, mit dem ich die Note "befriedigend" anstrebe, war es ein ausreichendes Werkzeug.


    Dieses Nachklingen auf den Mikros ist aber immer noch nicht ganz weg. Also als zweites die LoCuts der Mikrofone prüfen - einer aktiviert, beim anderen Mikro nicht. Also auch den zweiten LoCut gesetzt. Dann bei allen vier Handfunken den Bassregler etwas zurückgenommen - jetzt klingen die Stimmen für mich angenehmer, und das Nachklingen im Bassbereich ist auch verschwunden. Check - zwei Probleme gelöst, Dröhnen im Sound und Nachklingen der Mikros.


    Jetzt fällt aber auf, dass die Stimmen noch zu leise sind. Vorher ging es wohl nicht lauter, jetzt hebe ich den Pegel der Mikrofone auf der PA an. Zuerst prüfe ich dazu die Einstellungen der GAIN-Regler mittels PFL und muss sie alle etwas anheben. Danach mit den Kanalfadern nachführen, bis ich es für fast okay halte.


    Genau genommen hätten wir es hierbei belassen können, denn wenn keine offensichtlichen Soundprobleme vorliegen und die Stimmen zu verstehen sind (gut, dazu müsste man in diesem Falle Vietnamesisch verstehen), ist der gemeine Zuhörer meist schon zufrieden. Aber es geht natürlich noch besser. Also weiter. Noch bei laufender Moderation prüfe ich die Mindprint-Kompressoren. Die beiden, die gerade arbeiten müssen, komprimieren zu stark, machen die Stimmen (a) leiser als notwendig und (b) irgendwie leblos. Ich passe die Eingangs- und Ausgangsverstärkung der Kompressoren an, erhöhe den Threshold und verkleinere das Ratio. Erhöhen des Threshold bedeutet, die Kompression setzt erst später, bei höheren Sprach- oder Gesangspegeln, ein. Die Ratio zu verringern bedeutet, dass weniger stark komprimiert wird, wenn denn komprimiert wird. Die Zeitparameter Attack und Release stelle ich auf Automatik. Ist für Gesang und Sprache eh meist gut geeignet, und auch hier stelle ich nichts Störendes fest.


    Nun fängt auch schon die nächste Nummer an, ein Sänger zu Playbackmusik. Er hat eine richtig gute, kräftige Stimme, und ich darf die Einstellung des Kompressors gleich nochmal nachkorrigieren. Ich belasse es bei einem Kompromiss, die sowohl für Gesang als auch Moderation einigermassen taugt. Die Stimmen klingen nun jedenfalls nicht mehr zu Tode komprimiert und leblos. Dann Kontrollhören bei der folgenden Moderation - der Klang der Stimmen kommt nun ebenfalls einigermassen hin. Lautstärke und Klang der Stimmen - check.


    Der nächste Sänger hat noch vier Tänzerinnen auf der Bühne. Seine Stimme ist schwach, und er singt anfangs recht schief. Ich vermute, das bedeutet, dass sein Monitor zu leise ist. Ich schicke einen Helfer meines Kollegen nach vorne, er soll mal hören, was aus den Monitoren kommt. Der bedeutet mir, dass es viel zu leise ist, und ich soll lauter machen. Und zwar viel lauter. Und schlagartig wird der Gesang besser - die Stimme ist zwar immer noch nicht besonders kräftig, aber die Intonation wird deutlich besser.


    Bei der nachfolgenden Nummer treten ein Sänger und ein Akustikgitarrist auf die Bühne. Der Sänger klingt, aber die Akustikgitarre hört sich echt übel an. Also der Reihenfolge nach: Bass raus, weil das Ding im tieffrequenten Bereich sofort über den Monitor koppelt. Die Mitten klingen fürchterlich nölig, nasal und vervig. Ich senke etwas ab und suche mit der Parametrik im Bereich 1kHz bis ca. 1,5kHz, es klingt auch etwas weniger schlimm und nasal, aber immer noch nicht wirklich angenehm. Es folgt mein fast schon verzweifelter Versuch, durch Höhenanhebung ein silbriges Glänzen zu erzeugen, welches den nervigen Mitteltonbreich und den nun zu dünn tönenden Bassbereich halbwegs angenehm übertünchen soll, aber auch das gelingt mir nicht, die Höhen klingen bei Anhebung sofort schrill und unangenehm. Also Höhen stattdessen absenken? Nun, damit hätte ich dann alle Frequenzbereiche zurückgenommen, da kann ich auch gleich leiser machen. Naja, nicht ganz. Ich kapituliere, denn der Act muss ja irgendwann loslegen. Die Gitarre wird bei dieser Nummer einfach nicht gut klingen, dafür kriegt der Sänger eine heftige Hallfahne mit mächtig Predelay - das klingt nach riesigem Raum, fast schon ein Stadion. Da stehen die Vietnamesen drauf, zumindest versichert mir das mein Compagnon P. Angenehmer Nebeneffekt: Die Gitarre wird dadurch ein wenig überdeckt, und in Kombination mit dem Gesang klingt die Gitarre nun wesentlich angenehmer.


    Die nächsten paar Nummern laufen PA-technisch gesehen ganz gut, bis ein Gesangsquartett die Bühne entert - die Mikros drei und vier sind noch nicht durchoptimiert, weil bislang noch nicht benötigt. Während mein Kollege die beiden Funken nach vorne trägt, ändere ich nach der Formel "Pi mal Daumen" die Einstellungen für EQ, Monitor, Kompressor und Effekte. Draussen klingen die vier Ladies annehmbar, ich muss wegen der sehr unterschiedlichen Kapseln (e845 vs. e835) ein wenig im Höhenbereich nachkorrigieren - e845 absenken, e835 dagegen anheben. Trotzdem klingt das 835er weniger klar und konkret. Okay, man hört halt diese geschätzten zehn Jahre Entwicklungszeit zwischen den beiden Funken.


    Eine Sache stört aber noch, die Einsätze sind im Timing nicht ganz sauber. Ich schicke wieder den Helfer meines Kollegen vor, um sich die Monitore anzuhören. Er zuckt vorne mit den Schultern, scheint so schlimm also nicht zu sein. Aber als eine der Sängerinnen mitbekommt, dass wir den Monitor prüfen, fängt sie zu gestikulieren an. Ich stelle erst sie, dann die anderen drei, noch ein gutes Stück lauter auf dem Monitor, und das Timing der Sängerinnen wird besser. Der Kollege hört noch einmal in den Monitor rein und zuckt zurück. Scheint wohl nochmal deutlich lauter geworden zu sein.


    Bei den weiteren Nummern des Abends passieren noch ein paar kleinere Katastrophen, die uns aber auch nicht mehr schocken. Mitten in der Moderation steigt eins der Line6 Funkmikros aus - Batterie leer, wie sich herausstellt. Die Moderation läuft erstmal mit einem einzelnen Mikro weiter, welches zwischen Sprecher und Sprecherin hin- und hergereicht wird, dann wird bei dem ersten Mikro die Batterie ausgetauscht. Das andere Line6 scheint eine halbe Stunde später aus heiterem Himmel in eine Art Energiesparmodus versetzt zu sein und schaltet sich selbst bei den kürzesten Sprechpausen immer wieder ab. Mein Kollege bringt zwar die auf magische Weise veränderte Einstellung wieder in Ordnung, das Verhalten wird dadurch auch etwas besser, ist aber noch nicht wieder ganz in Ordnung, daher ziehen wir das Mikro für den Rest des Abends aus dem Verkehr. Es geht ab dann mit dreien weiter.


    Irgendwann kommt ein Act mit Gesang, zweimal Akustikgitarre plus Mandoline an. Äh - zwei DI-Boxen sind vorbereitet, aber da kein Künstler was von drei Instrumenten geschrieben hat, als im Vorfeld nach dem Bedarf gefragt wurde, muss die dritte DI-Box erstmal aus einer weggeräumten Kiste geholt und verkabelt werden. Das kostet natürlich unnütz Zeit, liegt aber eindeutig nicht an meinem Kollegen. Insgesamt also verzögert sich der nächste Act ein wenig, da erst noch Material herbeigeholt und verkabelt werden muss.


    Soviel erstmal vom buddhistischen Neujahrsfest.


    Einen vergleichbaren Einsatz hatte ich das erste Mal vor rund 25 Jahren, zu Anfang des Studiums, auf der Erstsemesterfete der Fachschaft. Interessanterweise stand damals derselbe Bassist auf der Bühne, dessen Konzert ich bei meinem letzten Feuerwehreinsatz verlassen musste, aber das nur am Rande. Ich hatte die Vorband gemischt, war fertig damit, und der Changeover war auch gemacht. Die Hauptband für die Fete liess sich von einem frischgebackenen SAE-Absolventen betreuen, hatte ihren Soundcheck hinter sich und spielte nun ihren Gig. Während der Planung und Vorbereitungen des Festes hatte sich der Knabe durch einige Äußerungen als unglaublich erfahren und kompetent dargestellt, ich weiss noch, dass er immer irgendwas von irgendwelchen angeblich unfassbar guten "belgischen digital Delays" redete, die er sich für das Konzert schicken lassen wollte, daher war irgendwie klar, dass er den Hauptact mischen sollte und ich "nur" die Vorgruppe.


    Ich hatte mich also nach meinem Gig an die Bar verzogen und hatte gerade mein Feierabend-Bierchen bekommen, um damit ein fast feedbackfreies Konzert zu feiern, als jemand vollkommen hektisch zu mir kam - der Tech der Hauptband hätte ihn geschickt, ich sollte schnell mal helfen kommen. Also zurück ans Pult. Dort sah ich den Tech hektisch am Hallgerät (?!?) schrauben, während es fröhlich und für alle hörbar vor sich hin pfiff. Ich wunderte mich zwar darüber, bändigte aber erst mal die Monitore, bis das Pfeifen weg war. Dazu nahm ich alle AUX-Master-Sends um drei bis vier dB zurück, um dann einen nach dem anderen vorsichtig wieder hochzuschieben, bis sich wieder ein leichtes Feedback meldete und dann den Pegel kurz darunter einzustellen. Jetzt hatten wir also mit den momentanen Monitormixes den feedbackfrei machbaren Maximalpegel.


    Das Problem war also beseitigt, und unser Tech bastelte weiter am ultimativen Rocksound. Irgendwann verpasste er der Bassdrum eine zu heftige Anhebung im Bassbereich, was umgehend wieder zu einem Feedback führte, diese eher tieffrequent. Doch statt diese Anhebung einfach zurückzunehmen, widmete er sich nun dem Snarekanal und schraubte hektisch daran herum. Ein weiteres Mal war ich fassungslos über diesen Grad an Unverständnis, korrigierte die Bassanhebung wieder und passte ab da auf, dass der Kollege keinen Shice mehr baute. An mehr kann ich mich nicht mehr erinnern, das ganze ist rund 25 Jahre her, aber diese beiden Augenblicke der Fassungslosigkeit sind mir noch ganz gut im Gedächtnis geblieben.


    Was nahm ich an Erkenntnissen hieraus mit? Wenn ich im Mix eine Änderung mache, insbesondere, wenn dabei irgend etwas angehoben wird, an einem AUX-Send, am EQ oder irgendeinem anderen Lautstärkeregler, und danach fängt es zu pfeifen oder zu hupen an, dann nehme ich diese Anhebung sofort wieder zurück. Warum? Na, weil ich damit das Feedback erzeugt habe! Die Auswirkungen eines Fehlers in Kanal X kann ich nicht durch Korrekturen in Kanal Y beseitigen. Überhaupt sollte man immer versuchen, die Ursache eines Problems zu finden und diese abzustellen, statt irgendwo an den Symptomen herumzudoktern. Für mich persönlich nahm ich mir vor, mich nicht mehr so sehr durch wichtig klingendes Gerede beeindrucken zu lassen, aber daran arbeite ich auch heute noch, 25 Jahre später.


    Nochmal zur Optimierung eines eigentlich fertigen Mixes - ich gehe dabei nach meiner persönlichen ZEN-Methode vor. Zu jeder Zeit frage ich mich, was stört gerade am meisten, was schreit am lautesten danach, korrigiert zu werden. Danach und nach Gefühl oder Instinkt gehe ich vor. Üblicherweise wäre meine Reihenfolge wie folgt:


    1. Gibt es Feedbacks? Diese sofort eliminieren, erstmal durch einfaches Leisermachen der Monitor-Master-Regler (denn normalerweise hat man die meisten Feedbacks auf dem Monitor und nicht auf der PA), dann in jedem Monitorweg vorsichtig wieder an den maximal möglichen Pegel herantasten


    2. Gibt es eklatante Fehler im Sound der PA? In meinem Fall war es ein Dröhnen in den Bässen, aber auch nasal überbetont klingende Mitten oder zu stark abgesenkte Mitten ("Badewannenkurve") sollte man korrigieren, genauso wie Probleme im Höhenbereich - später am Abend habe ich auch noch etwas den Mittel-Hochtonbereich der PA korrigiert, durch Absenken bei 2 kHz und ca. 6 kHz habe ich den Sound insgesamt noch etwas weicher gestaltet - die 2 kHz scheinen so eine allgemeingültige Frequenz zu sein, aber die 6 kHz galten nur bei dieser PA und evtl. auch nur in diesem Raum


    3. Sind die Stimmen laut genug? In meinem Fall musste ich den Pegel der Stimmen etwas anheben, was aber erst ging, nachdem der PA-Sound und die EQ-Einstellungten in den Gesangskanälen optimiert worden waren - was eigentlich erst der nächste Schritt ist


    4. Ist der Sound der Stimmen am EQ nicht versaut worden? In meinem Fall musste ich für alle Stimmen den Bassbereich etwas zügeln und bei einigen den LoCut aktivieren, bei den Sennheiser-Mikros die Höhen anpassen (absenken beim e935, anheben beim e835)


    5. Sind die Stimmen falsch komprimiert? In meinem Fall sind die Stimmen durch überstarke Kompression ziemlich plattgemacht worden, ich habe daher den Kompressor etwas später einsetzen lassen und nur schwächer komprimiert


    6. Bei mir gab es das beim letzten Feuerwehreinsatz zwar nicht, aber danach optimiere ich die Instrumente in der Reihenfolge ihrer Wichtigkeit für die Musikart durch - bei einer Rockband sehe ich zuerst, dass Bassdrum und Snare hinkommen, evtl. noch die HiHat, der Rest vom Set kann später drankommen


    7. Passen die Gitarren? Nicht zu laut oder zu leise, stimmt der Sound, wird die Stimme nicht durch einen übermäßig fetten Gitarrensound erdrückt?


    8. Passt der Bass von der Lautstärke her, ist etwas von dem Schub zu spüren, ohne dass die Stimmen und andere Instrumente davon plattgemacht werden?


    9. Dann üblicherweise die Keys - passt die Lautstärke, passen die Sounds? Ggf. muss man da von Song zu Song nachregeln, je nachdem, wie gut der Keyboarder seine Sounds pegelmäßig im Griff hat - im Notfal einfach einen hart eingreifenden Kompressor auf die Keyboard-Kanäle oder auf die Subgruppen legen


    10. Gibt es noch andere Instrumente, die optimiert werden müssen?


    11. Einstellungen von Hall und anderen Effekten prüfen, wird dadurch nicht alles zugesuppt? "Trägt" der Hall den Gesang und eventuelle akustische Instrumente ein wenig?


    12. Nochmal nachprüfen, ob die Instrumente alle etwas Platz im Spektrum lassen für den Gesang. Siehe dazu auch http://www.mix4munich.de/stimme.htm


    13. Ggf. mit einer App auf dem Smartphone nach Koppelfrequenzen auf Monitor und PA suchen und diese per EQ eliminieren, aber ob man bei laufender Show dazu die Ruhe hat, wage ich zu bezweifeln - ausserdem sollte man sich besser zweimal überlegen, ob man es bei laufender Show gleich mehrfach pfeifen lassen will. Mein Tipp: Das ist eher was für den Soundcheck VOR dem Gig. Wenn es nicht gerade überlebensnotwendig ist, ist das nichts, was man bei laufendem Konzert tut


    14. Und hier das wichtigste: Diese Liste ist kein Gesetz - wenn Ihr meint, in der Reihenfolge springen zu müssen, weil Ihr bereits bearbeitete Punkte nochmal nachkorrigieren wollt, dann tut Ihr das


    Immer das Ziel im Auge halten: Wir wollen hier nicht den Mix des Jahres hinlegen. Es geht darum, von einem katastrophalen Mix zu einem akzeptablen Gesamtergebnis zu kommen. Schulnote 3, "befriedigend" - besser muss das nicht werden bei so einer Aktion. Wenn es dann doch besser wird - schön für Euch.


    Worüber man sich auch eher im Vorfeld Gedanken machen sollte als während des Gigs davon kalt erwischt zu werden: Bei Veranstaltungen, wo ein Act den nächsten jagt und es keinen wirklichen Soundcheck gibt oder nicht hundertprozentige Klarheit über alles herrscht, braucht man unbedingt eine Person, die ich mal "Stage Manager" nennen möchte. Der hätte in unserem Fall seinen Arbeitsplatz seitlich hinter der Bühne ("in the wings" nennt man das im angloamerikanischen Sprachraum) und gibt die Funkmikros an die einzelnen Acts und Moderatoren aus. Praktischerweise hat er ein paar Ersatzbatterien herumliegen und noch weitere Ersatz- und Kleinteile in Reichweite wie z.B. Batterien, DI-Boxen, Mikrofone, Kabel, Stative. Wenn also ein Act plötzlich mit vier Sängern dasteht, reicht er einfach alle notwendigen Mikros. Wenn eine zusätzliche Gitarre auftaucht, fragt er über Intercom, auf welchem Kanal des Multicores er sie verkabeln soll. Wenn plötzlich ein unvermutetes Percussioninstrument da steht, baut er Mikro, Kabel und Stativ auf und fragt ebenfalls über Intercom, auf welchen Kanal er das Zeug aufstecken soll, usw.


    So eine Aktion ist in gewisser Weise sehr stressig, man muss das Arbeiten unter Druck abkönnen. Das schöne an so einer Situation aber ist, Ihr habt es ja nicht verbockt, müsst es nicht verantworten, es kann durch Euch höchstens besser werden. Je nach Sichtweise hat man dabei also überhaupt keinen Stress.


    Wenn mich morgens jemand fragt, ob ich am Abend gerne einen Feuerwehrmix machen würde, lautet die Antwort generell nein. Wenn ich da Zeit zum Nachdenken habe, fallen mir dazu nur negative Dinge ein. Und allzu grüblerisch veranlagte Kollegen würde ich für sowas auch nicht anrufen. Wenn ich selbst aber erstmal in so einer Situation drin bin, grüble ich überhaupt nicht mehr nach, schalte auf Instinkt und Bauchgefühl um und mache einfach das, was mir naheliegend und notwendig erscheint. ZEN halt. Darauf einen Jasmintee!


    Viele Grüße
    Jo




    PS: Was man unbedingt ergänzen sollte: Denen ist die Zeit davongerannt - von ihrer Aufbauzeit ist knapp die Hälfte in sich zusammengefallen, weil Bühne und Deko noch nicht fertig waren. Und als die Show dann lief, haben die Nerven wohl nicht mitgemacht. EIGENTLICH stellen die nämlich ganz ordentliche Shows auf die Beine.

  • Ein netter Erfahrungsbericht, schön zu lesen!


    Etwas in der Art gehört irgendwie dazu. In meinen naiven Anfängerzeiten hatte ich auch schon beide Rollen (also der hilflose Anfänger und der Problemlöser) gleichzeitig inne :lol: ... man baut also auf, verkabelt, macht Soundcheck und denkt, es wird wohl passen. Dann kommt der Zeitpunkt, wo man mit der Realität konfrontiert wird (Band hat völlig andere Vorstellungen oder eben der Veranstalter oder Publikum). Also die Situation retten, improvisieren und die gröbsten Mängel so gut wie möglich ausbügeln :lol:


    Es war zwar zum damaligen Zeitpunkt NICHT lustig, aber heute kann ich darüber lachen und ich habe selten so viel gelernt wie damals! War noch zu einer Zeit, wo Internet und Foren noch nicht so angesagt waren, Youtube und Tutorials sowieso nicht...

    Der Ton macht die Musik.