Nachhallzeit - was nun?

  • Markus Zehner hat in seinem Beitrag über die Messungen der Nachhallzeit viele Fakten geliefert und gut aufgezeigt, wie komplex die Thematik ist. Ich wollte aber den wissenschaftlichen Thread nicht zumüllen mit meiner Frage zu Praxisrelevanz, weshalb ich hier einen neuen Thread dazu aufmache.


    Wenn man diese hochkomplexe Angelegenheit für unseren Beschallungsalltag runterbricht kann man ja sagen, dass meistens eine hohe Nachhallzeit für uns schwierig ist, während eine kurze Nachhallzeit einfacher zu handeln ist.


    Ich frage mich deshalb, ob es in einem gewissen Umfang deshalb klüger wäre, in Molton und Absorber zu investieren (auch vor Ort), als die teuersten Kisten aufzuhängen? Habe ich am Ende mit der Mittelklasse PA und genügend Absorptionsfläche den besseren Sound als mit der High-End PA und dem nackten Raum?


    Gibt es Firmen, die nach dieser Philosophie arbeiten?


    Mir ist bewusst, dass die Geschichte Frequenzabhängig ist und die Absorption nur im höheren Frequenzspektrum tatsächlich realisierbar ist.

    Der Ton macht die Musik.

  • Habe ich am Ende mit der Mittelklasse PA und genügend Absorptionsfläche den besseren Sound als mit der High-End PA und dem nackten Raum?

    das kann man eindeutig bejahen.


    das problem mit der akustik ist aber, dass es gerade bei schlechten räumen (also die mit viel nachhall) sehr viel arbeit machen würde, diese mit molton zu verbessern. in aller regel scheitert dies ganz einfach an den zeitlichen grenzen, die wir für die meisten jobs haben. uns bleibt meist einfach keine zeit, zusätzliche akustische maßnahmen zu ergreifen.

    ausserdem muss man auch mit dem hallenbetreiber und/oder veranstalter klären, ob sowas überhaupt gewünscht ist.

    ergo interessieren wir uns auch eher untergeordnet für die nachhallzeiten, da wir sowieso keinen einfluss auf die hallenakustik haben.


    anders sieht das aber bei festinstallationen aus:

    in veranstaltungshallen sollte man sich eigentlich verstärkt um eine passende akustik bemühen.

    ich habe das bei uns in der halle in die hand genommen, das ergebnis ist eine wesentlich bessere akustische ausgangssituation für 95% unserer veranstaltungen. ich habe dazu die saalakustik an vielen stellen ausgemessen und habe diese messergebnisse einem ingenieur bei Gerriets gegeben. dann haben wir besprochen, an welchen stellen wir die materialien einbringen können. und er hat dann wiederum die stoffe ausgesucht, die am besten passen.

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Wenn man diese hochkomplexe Angelegenheit für unseren Beschallungsalltag runterbricht kann man ja sagen, dass meistens eine hohe Nachhallzeit für uns schwierig ist, während eine kurze Nachhallzeit einfacher zu handeln ist.

    Nein, das stimmt eben so pauschal genau nicht und dieser Irrtum wird durch die willkürlich gewählte und überbewertete RT60 seit Jahrzehnten unterstützt.

  • in veranstaltungshallen sollte man sich eigentlich verstärkt um eine passende akustik bemühen.

    Naja, ich versuche bei und dieses Thema permanent durchzuboxen, aber so einfach geht das leider nicht überall. Ich arbeite in einem Saal, der nicht für Elektroakustik entworfen wurde sondern für rein akustische Übertragung von der Bühne ins Publikum. Entsprechend kommen auch Orchester und klassische Künstler gerne zu uns, weil eben die Akustik dafür gut ist - ohne dass sie nur 1 Mikrofon brauchen.
    Bekomme ich den Saal akustisch gedämpfter würde besagtes Klientel wohl nicht mehr zu uns kommen, der Stadtrat sich beschweren wie es denn sein kann, dass wir die perfekte (haha) Akustik der Halle zerstören (weil klassische Musik hier einen enormen Stellenwert hat für die Leute, die gerne gesehen werden) und im Endeffekt werden wir dann rückbauen dürfen.

  • "die beste Akustik" dürfte es eh nicht geben - die entsprechenden Anforderungen an den Raum / Saal / Halle sind eben anders ob da nun ein akustisches Streichquartett, ein Orgel-Konzert, eine Sprach-VA, Chor oder ein Rockkonzert stattfinden soll.


    Einer für alles geht nicht, selbst das minimale Übel für alle wird schon schwer...

  • In dem Zusammenhang kann ich nur immer wieder die Arbeit von Niels Adelman-Larsen empfehlen.


    Der hat systematisch untersucht welcher Nachhall pro Frequenz für Rock/Pop/Elektro als angenehm empfunden wird und dafür sehr viele Musiker und FOH Leute befragt.

    Im Zuge dessen ist er auch durch Europa gereist und hat die Hallen vermessen.


    Ganz grobe Zusammenfassung: Hall in hohen Frequenzen muss gar nicht so schlimm sein, Hall in Tiefmitten macht alles kaputt.


    Deswegen hilft Molton oft gar nicht so viel, weil die Probleme um die 125Hz liegen.


    Von ihm gibt es ein Buch "Rock und Pop Venues", die Essenz davon kann man aber auch in diversen Whitepapers lese.


    Der hat dann dieses Akkuflex Absorber entwickelt die jetzt bei Gerriets im Vertrieb sind.

    Die sind auch ein Option für bestehende, klassische Häuser, weil man die quasi "abschalten" kann.


    Spannend auch wie Raum und Bühnenhausakustik das Wohlbefinden und Spiel der Musiker beeinflussen, da macht sich vermutlich auch fast niemand sonst Gedanken zu.

  • es ist natürlich völlig logisch, das man eine halle, die für klassische musik gebaut wurde (und auch so benutzt wird) nicht auf eine wiedergabe per lautsprecher optimieren sollte. das versteht sich von selbst, das sagt der gesunde menschenverstand (den man in letzter zeit natürlich vermehrt beanstanden kann).


    bei uns in der halle war es aber genau umgekehrt: sie wurde ursprünglich oft für klassische konzerte genutzt, mittlerweile kommt das aber genau einmal im jahr vor: am nationalfeiertag.

    alle anderen veranstaltungen sind entweder mit musik per lautsprecherwiedergabe, oder sprachveranstaltungen. und dafür sind nachhallzeiten von deutlich über 2,5sek durchaus suboptimal, zumal die spektrale verteilung der nachhallzeit auch alles andere als ausgewogen war. deshalb haben wir das bei uns geändert - und bis auf das chorensemble am nationalfeiertag sind alle kunden und gäste mit der verbesserten sprachverständlichkeit sehr zufrieden.

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

    Einmal editiert, zuletzt von wora ()

  • Ich denke , dass Echos ein größeres Problem darstellen als pauschal der Nachhall.


    Mir sind bestimmte hallige Venues liebe als solche, die zwar relativ trocken aber Echos und gemeine Frequenzüberbetonungen haben, als positives Beispiel einer sehr halligen Venue sehe ich da z.B. das Zenith in München vs. relativ trockene Hallen wie Sporthalle Hamburg oder Max Schmeling Halle und Tempodrom in Berlin, die vergleichsweise schwer zu handeln sind.

  • Zitat

    Ich frage mich deshalb, ob es in einem gewissen Umfang deshalb klüger wäre, in Molton und Absorber zu investieren (auch vor Ort), als die teuersten Kisten aufzuhängen? Habe ich am Ende mit der Mittelklasse PA und genügend Absorptionsfläche den besseren Sound als mit der High-End PA und dem nackten Raum?



    Also ich würde sagen ganz klar ja. Und ich bin inzwischen soweit, dass ich mir tatsächlich die Mühe mache, zumindest die Bühnenakustik in extremen Fällen etwas zu optimieren. Zwei 1X2 m große Absorber hinter dem Schlagzeug oder an den nackten Seitenwänden einer kleinen Bühne machen tatsächlich manchmal den entscheidenden Unterschied zwischen "alles scheppert" und "halbwegs brauchbar". Und dem Sound nach vorne raus kommt es natürlich auch zu gute, wenn die Becken und die Snare nicht gar so arg in die Gesangsmikrofone sauen. Wenn man die Transportkapazitäten hat, dauert der Aufbau ca. 2 min. Aber dem Mulm in den Tiefmitten kommt man so natürlich nicht bei.


    viele Grüße,


    C.

  • Es wird in der Praxis ein Kompromiss rauskommen zwischen dem was man gerne hätte und dem was tatsächlich möglich ist.

    Eine Soundvorstellung vor dem Aufbau kann das Resultat, damit meine ich vor allem eine zielführende Arbeitsweise am Pult - günstig beeinflussen.


    Spontan würde ich sagen, dass es das Ziel sein wird, die angemessene Lautstärke im unteren Bereich zu fahren und den halligen Frequenzbereich so im Pegel zu drücken, dass der Sound trotzdem akzeptabel ist.


    Unterm Strich ist das High-End-Werkzeug (inkl. Anwendung/Aufbau) in Bezug auf Soundkontrolle effektiver als irgendwo Molton aufzuhängen.


    PS: Klar, bei einer zeitgemäßen Architekturplanung, sollten solche Probleme erst gar nicht entstehen.


    Vielleicht kann Tine Wittler weiterhelfen. ;)

    Einmal editiert, zuletzt von sebastian () aus folgendem Grund: PS ergänzt

  • Der hat dann dieses Akkuflex Absorber entwickelt die jetzt bei Gerriets im Vertrieb sind.

    Die sind auch ein Option für bestehende, klassische Häuser, weil man die quasi "abschalten" kann.

    genau sowas haben wir hier auch eingebaut, das aQflex system von Gerriets ;)

    und davor gibt es passende vorhänge, die auch noch ca. 1,2m vor der wand hängen :)

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Wie wäre es denn richtig?

    Als Beispiele hier ein paar unterschiedliche Venues, jedes Mal für Sprachwiedergabe beschallt:


    Beispiel A)

    Hervorragend klingender, 4 Stockwerke hoher und länglicher, leicht verwinkelter Zentralbereich eines Forschungs-Neubaus. Programm war auch auch am FoH an der gegenüberliegenden Seite 1 Stockwerk höher ohne Delay-LS noch klar verständlich.



    Beispiel B)

    Akustisch grauenvolle, alte kastenförmige Haupthalle eines grossen Bildungsinstitutes in ZH


    Beispiel C)

    Bergstollen, ca. 5m hoch, Beschallung in Längsrichtung mit den Lautsprechern ca. 1-1,5m von der Wand entfernt - Das hat nicht wirklich Spass gemacht da die 1-2 Mikros passend zu schrauben



    Natürlich sind die Messungen alle nicht für RT60 ausgelegt gewesen und der Übersicht halber habe ich die Darstellung pro Venue auf 2-3 Einzelmessungen reduziert - die Fensterung jedoch habe ich bei allen 3 Beispielen gleich gesetzt. Ich denke man kann erkennen, dass der Zeitwert alleine keine Aussagekraft über das klangliche Ergebnis liefern kann.


    Ich frage mich deshalb, ob es in einem gewissen Umfang deshalb klüger wäre, in Molton und Absorber zu investieren (auch vor Ort), als die teuersten Kisten aufzuhängen? Habe ich am Ende mit der Mittelklasse PA und genügend Absorptionsfläche den besseren Sound als mit der High-End PA und dem nackten Raum?

    Kennst du die Halle mit dem Unterhaltungselektronikkonzern im Namen in ZH? Klingt ja soweit erst mal recht trocken wenn man da rein kommt.

    Wenn du allerdings mal 'nen Act mit schnellen Bassläufen da mischen musst, weisst du wo das Budget zu Ende war ;)


    Gezielt kann man natürlich schon etwas machen. Ich würde mich aber immer erst einmal auf Erstreflexionen konzentrieren.

    Freelancer für Audio Beschallung/Recording seit 2003 - Alle Beiträge spiegeln meine persönliche Meinung/Erfahrung als von Herstellern & Vertrieben unabhängiger Tonmensch wieder