Wie objektiv ist unser Gehör ?
Häufig werden verschiedene LS-Systeme mit populärer Musik "verglichen", um qualitative Unterschiede in der Übertragungsqualität festzustellen.
Selbst viele erfahrenere Tontechs glauben, daß ihr Gehör dabei grundsätzlich "einigermaßen" objektiv ist und vorhandene Mängel in einer Übertragungsanlage ihnen nicht verborgen bleiben würden.
Erwähnenswert ist hierbei, daß selbst erfahrener Toningenieure in einem Tonstudio an zwei verschiedenen Tagen nie den gleichen/identischen (richtigen ???) Mix hinbekommen würden.
Der Grund: Die eigene Tagesform und persönliche Verfassung (Stress, Gesundheitszustand, Müdigkeit) spielt eine große Rolle bei der (etwa doch subjektiven ???) Beurteilung eines KLANGS.
Wenn wir etwas HÖREN, ist es ein Zusammenspiel aus Außen-/Innenohr ... und der Verarbeitung im Gehirn (!), der schließlich zu einem HÖREINDRUCK führt - ähnlich "kompliziert" sieht es beim SEHEN (dto.: Schmecken, Tasten ...) aus.
Wie unvollkommen (bzw. wenig objektiv ...) unser SEHEN ist, kann jeder leicht nachvollziehen, der sich die folgende (Powerpoint-) Datei einmal anschaut. Ich denke, er wird dann keine Zweifel mehr haben, wie wenig objektiv unsere Sinneswahrnehmungen sind.
http://www.paforum.at/daten/theorie/wasdasHirnalleskann.pps
Unsere Sinneseindrücke (sowohl beim HÖREN als auch beim SEHEN) basieren auf Erfahrungen (Vorurteile ...), die wir im Laufe unseres Lebens (sehr wichtig: in den ersten Lebensjahren !) gemacht haben.
Menschen, die ihren Lebensraum im tropischen Urwald haben, verfügen über ein sehr viel ausgeprägteres Richtungshören (Beispiel: bessere Unterscheidung oben/unten) als Menschen, die in einer Großstadt aufwachsen.
Viele unserer Wahrnehmungen erreichen nicht einmal unser Bewußtsein (Beispiel: Unterschwellige Kinowerbung durch untergemogelte Einzelbilder ... soll ja inzwischen verboten sein ...)
Unser RICHTUNGSHÖREN basiert im Wesentlichen auf Pegel- und Zeitunterschiede. Die Stereofonie nutzt diese Eigenschaften, um uns (mit Phantom- bzw. virtuellen Schallquellen) die Illusion einer räumlichen Wiedergabe vorzugaukeln (Intensitäts- und Laufzeitstereofonie ... letztere ist nicht monokompatibel ...).
Auch die Quadrofonie ist in Wahrheit keine wirklich räumliche Tonübertragung sondern vermittelt nur die Illusion einer räumlichen Tonübertragung.
EXPERIMENT: Stellt mal zwei Boxen mit identischen Signalen (d.h. auch gleiche Pegel !) in wenigen Metern Abstand auf und verzögert eine der Boxen um 15 ... 25 ms. Wir hören dann den KLANG nicht mehr aus der Mitte.
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Unsere KLANGEMPFINDUNG wird gelernt ... hierzu ein Beispiel: Ein japanischer Toningenieur würde vermutlich anders mischen als ein europäischer. Asiaten haben auch eine andere Schmerzschwelle als Europäer, was Lästigkeit (Umweltgeräusche, Verkehrslärm ...) angeht.
Auch Nichtmusiker beurteilen KLANG häufig anders als viele Jahre erfahrene Orchester- oder Bandmusiker ... und persönliche Erwartungshaltungen und Vorurteile (welcher Hersteller, welches Konstruktionsprinzip) beeinflussen das KLANGEMPFINDEN in gravierender Weise.
Unser Gehör "eicht" sich bei "Hörvergleichen" zunächst auf ein (zuerst) gehörtes LS-System und vergleicht dann letztendlich alle weiteren Systeme mit dem ersten Höreindruck. Schon eine Veränderung der Hörreihenfolge - d.h. welches System zuerst - und die Auswahl des Musikmaterials (was gezielt zur Manipulation von Zuhörern genutzt werden kann ...) führt zu unterschiedlichen Hörbewertungen einzelner LS-Systeme.
EXPERIMENT "ERWARTUNGSHALTUNG": Hebt bei einer neutral abgestimmten Box den Bereich um 3 ... 5 kHz an und macht davon eine Messung. Dann zeigt Ihr die Messung den Zuhörern, wobei die Box OHNE Anhebung vorgeführt wird. Das Ergebnis ist immer wieder interessant/witzig: Viele Zuhörer "hören" Dinge, die gar nicht vorhanden sind.
EXPERIMENT "GEHÖR-EICHUNG": Führt mehrere Boxen mit deutlicher Höhenanhebung (+3 ... +4 dB ab etwa 8 kHz) vor und präsentiert dann eine neutral abgestimmte Box OHNE Höhenanhebung. Letztere wird dann als "höhenschwach" und "dumpf klingend" bewertet.
EXPERIMENT (dto.): Präsentiert über eine neutral abgestimmte Box ohne Manipulation des Übertragungsverhaltens mehrere Musikstücke ... dann ein System mit Präsenzsenke (sowas wird anfänglich als "weniger transparent" bewertet .. nach einigen Minuten tritt eine Gewöhnung auf ...) ... dann wieder das zuvor gehörte neutrale System (dieses wird jetzt als "aufdringlich" und "plärrig" bewertet ...).
Ähnlich verhält es sich bei Bass-Systemen. Ein (um +4 ... +8 dB) überbetonter Bass wird zunächst als "basslastig" empfunden ... nach einigen Musikstücken (hängt auch etwas vom Musikmaterial ab ...) tritt hier ebenfalls eine Gewöhnung/"Eichung" ein, die sogar dazu führt, daß eine leichte Absenkung des Bassbereichs als "bass-schwach" bzw. "mit zu wenig Druck" bewertet wird.
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Mit diesem Beitrag wollte ich darauf hinweisen, daß unser Gehör keinesfalls objektiv ist und sogar manipuliert werden kann. Wirklich objektiv sind nur (professionell durchgeführte) Messungen.
Vielleicht entwickelt sich daraus ja eine interessante Diskussion über (weitere ...) psychakustische Phänomene ...