Verantwortlichkeiten

  • [Offtopic] Ich lese schon seit Tagen mit Interesse und Betroffenheit die entsprechenden Berichte und finde die Diskussion im PA-Forum sehr gut. Viele Punkte sind in anderen Threads schon enthalten. Auch ich denke, dass dieses Drama einen nachhaltigen, vielleicht auch durch Änderung der Gesetzeslage einen deutlichen Einfluss auf unsere zukünftige Arbeit haben wird und auch haben muss!


    Was mich aber beschäftigt: [/Offtopic]


    Wie waren bei der Veranstaltung die Verantwortlichkeiten? Es geht dabei nicht um die juristische Verantwortung, auch nicht die moralische. Vielmehr stellen sich mir die Fragen:


    1. Welche vertragliche Rolle hatte die Stadt Duisburg zum Veranstalter? War die Stadt nur auf der genehmigenden Seite (über die untere Baubehörde, wovon sich der OB ja freisprechen will), sowie auf der unterstützenden Seite (Straßensperrungen durch das Ordnungsamt, usw.)? Oder ist die Stadt "Mitveranstalter" gewesen und sitzt also mit im Boot?


    2. Nach meinen bisherigen Erkenntnissen hat die Stadt Geld in die Instandsetzung des Güterbahnhofgeländes gesteckt (400000 Euro?). Ist sie auch Eigentümer des Geländes und somit Betreiber, der dem Veranstalter das Gelände zur Verfügung gestellt hat?


    3. Gab es einen oder mehrere "Verantwortliche für Veranstaltungstechnik" und wie waren deren Zuständigkeiten verteilt? Gab es Gefährdungsanalysen und was ergaben die zum Thema Bodenbeschaffenheit, Zuschauerschutz, Koordination der Rettungskräfte, Alarmierungsanlage, Wegbreiten, usw.


    4. Gab es eine gemeinsame Einsatzzentrale von Feuerwehr, Sanitätern, Polizei, Veranstalter, usw.?


    Wie oben schon erwähnt: es geht hier NICHT um die juristische Bewertung von Schuld und Unschuld, auch nicht darum, hier einzelne Personen, Firmen oder Institutionen zu beschuldigen oder anzuprangern. Vielmehr interessiert das vorliegende Konzept, wo waren Lücken und Versäumnisse. Hieraus kann und muss man lernen.


    Vielleicht hat der eine oder andere bereits entsprechende Inforamtionen ausgegraben.

  • Zitat von "simonstpauli"


    Ist der Mieter dann der Betreiber der Veranstaltungsstätte?


    Findet mit dem Mietvertrag ein Haftungsübergang statt?


    Zumindest nicht automatisch, denn in üblichen Mietverträgen bleibt der Eigentümer verantwortlich für Gefahren, die von seinem Eigentum ausgehen.

  • Das Spiel geht weiter. Die Landtagsfraktionen in NRW von CDU und FDP haben eigene, lange Fragenkataloge vorgelegt, deren Beantwortung sehr aufschlußreich wird.


    CDU: http://www.cdu-nrw-fraktion.de/index.php?id=405&tx_ttnews[pS]=1280820542&tx_ttnews[tt_news]=10193&tx_ttnews[backPid]=83&cHash=52100dd3f9


    FDP: http://www.fdp-fraktion-nrw.de…alog_der_FDP-Fraktion.pdf


    Da bin ich mal gespannt.

    -> Arbeitssicherheit, Koordination Arbeitssicherheit auf Großveranstaltungen

    -> Sicherheitskonzepte

    -> Schulungen

  • "4. Gab es eine gemeinsame Einsatzzentrale von Feuerwehr, Sanitätern, Polizei, Veranstalter, usw.?"


    Die Frage beschäftigt mich auch.
    Habe mir dazu jetzt sogar ein Buch bestellt (Hanno Peter, Gefahrenabwehr bei Großveranstaltungen), und dort gibt es die Aussage, daß solche "integrierten Leitstellen" nicht funktionieren bzw. nicht gewollt sind (Kompetenzgerangel).
    Das scheint mir, neben den verkehrstechnisch-baulichen Mängeln eine zentrale Frage zu sein.


    Es gab ja zwichen den Tunneln am Fuß der Hauptrampe den Container mit dem "Crowd Manager", und dem Verbindungsbeamten der Polizei ohne Funkgerät, das ist dann wohl als die 'gemeinsame Einsatzzentrale' zu sehen, jedenfalls hätte sie dies praktisch sein können (wenn dem nicht Kompetenzgerangel, Eingeschnapptheit, Kommunikationsverweigerung, Korpsgeist, bürokratische Lebensfremdheit oder was weiß ich wie man das bezeichnen soll, entgegen gestanden hätte).


    EIGENTLICH hätte ich als Laie gedacht, bei einer solch großen Veranstaltung gibt es ein Lagezentrum, wo alle Mitwirkenden von früh an bis VA-Ende drinsitzen und auf die Bildschirme schauen......tja, gibt's halt wohl nur so richtig nach einem Alien-Angriff in Katastrophenfilmen...


    Michael

  • Nachtrag, Präzisierung und Zitat aus genanntem Buch, S.150:
    "Aufgrund der unterschiedlichen Führungsstrukturen, Aufgabenzuweisungen und -wahrnehmungen ist eine voll integrierte Einsatzleitung nicht sinnvoll. Die Führung von Polizei, Sanitätsdienst, Feuerwehr und allgemeiner Verwaltung (Veranstalter? d.V.)
    sollten aber räumlich dicht beieinander angesiedelt werden. Gemeinsame Lage- und Einsatzbesprechungen sind vorzusehen. Die Führung sollte über ausreichende Kommunikationsmittel verfügen."


    Noch Fragen?

  • Ist schon okay so. Denn es gibt ja bei solchen Veranstaltungen viel 'Alltagsgeschäft', das die Polizei oder der Rettungsdienst in seinem Aufgabenbereich selbst abarbeiten kann.
    Für den Katastrophenfall gibt's dann andere Konzepte, wobei die finale Leitung dann bei der Behörde (Stadt bzw. Landratsamt) liegt.


    Tomy

    SIM II Operator and Dante Level I-II-III (alles sogar zweimal :)
    Jugendschwimmabzeichen, Rettungsschwimmabzeichen in Bronze
    Meine kommerziellen Softwareprodukte SATlive und LevelCheck

  • Zitat von "ibkoeppen"

    "4. Gab es eine gemeinsame Einsatzzentrale von Feuerwehr, Sanitätern, Polizei, Veranstalter, usw.?"


    Auch wenn es in andere Threads besser passen würde poste ich es mal hier: in Spiegel-TV waren Bilder aus dem "Krisenstab" zu sehen, wo (offensichtlich während der Veranstaltung) die Verantwortlichen zusammensaßen. Aber großartige Kommunikations-/Überwachungseinrichtungen waren nicht zu erkennen.


    http://www.spiegel.de/video/video-1077726.html ab ca. 8:50.

  • Vielleicht ist ja eine Lehre hieraus:


    für eine solche Großveranstaltung ist ein Stab wie für einen Katastrophenfall einzurichten.


    Bliebe "bloss" noch seitens Gesetzgeber zu regeln, ab wieviel Personen das gilt....

  • Das ist aber bereits in §38 der MVStättV (oder in NRW SBauV) gefordert:


    "(3) Der Betreiber muss die Zusammenarbeit von Ordnungsdienst, Brandsicherheitswache und
    Sanitätswache mit der Polizei, der Feuerwehr und dem Rettungsdienst gewährleisten."


    Und da stellen sich wieder die Fragen: wer war der Betreiber und warum wurden diese Vorgaben nicht eingehalten? ...womit wir uns im Kreis drehen... :(

  • Zitat von "timotimo"

    Das ist aber bereits in §38 der MVStättV (oder in NRW SBauV) gefordert:


    "(3) Der Betreiber muss die Zusammenarbeit von Ordnungsdienst, Brandsicherheitswache und
    Sanitätswache mit der Polizei, der Feuerwehr und dem Rettungsdienst gewährleisten."


    Und da stellen sich wieder die Fragen: wer war der Betreiber und warum wurden diese Vorgaben nicht eingehalten? ...womit wir uns im Kreis drehen... :(


    Es wurde doch zusammengearbeitet. Die Zusammenarbeit war nicht schnell und nicht gut.
    Das steht aber nicht in der Verordnung. Leider.

  • Das ist auch wieder so eine Vorschrift. Die kann alles oder nix heissen.
    Und wie will ein Veranstalter eine Zusammenarbeit überwachen oder erzwingen. Er muss die Möglichkeiten dazu schaffen, das ist klar, aber wenn die sich nicht riechen können, dann kann er auch nix machen.
    Und soweit ich weiss war die FW-Köln mit einem Einsatzleitwagen dort, allerdings weiss ich nicht, wer da was geleitet hat.


    Tomy

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  • Ich habe ihn oben schon gepostet, aber ich schreibe den Link hier nochmal hin:
    http://www.spiegel.de/video/video-1077726.html ab ca. 8:50.


    Eine Zusammenarbeit gab es da schon. Aber wohl fehlende Kommunikation, fehlende Kompetenzabgrenzung/Entscheidungsbefugnis. Ein Organigramm hilft da meist.


    Nach meinem Verständnis der Versammlungsstättenverordnung hätte das Bauamt auch die Umsetzung des §38 fordern müssen und kontrollieren müssen. Klar, das ist viel, was da kleiner Beamter des Bauamtes machen soll. Aber so ist doch die Verordnungslage, oder?

  • Sehr interessant zu lesen. Es war wirklich eine Verkettung unendlich vieler kleiner Fehler.


    Ich erinnere mich an die Sendung Anne Will kurz nach dem Unglück. Da saß ein Herr von der Gewerkschaft der Polizei und hat mit für meinen Begriff zu großen Worten die Verantwortung auf alle verteilt. Die Polizei hat natürlich alles richtig gemacht. Damals habe ich mich schon gefragt wie er das zu dem Zeitpunkt so sagen kann.


    Wenn die Polizei schon vorher erhebliche Sicherheitsbedenken hat, aber von politischer Seite her ignoriert wird. Steht sie dann nicht in der Verantwortung in Ihrem Zuständigkeitsbereich, also vor dem Gelände, geeignete Maßnahmen gegen eine Übeefüllung zu unternehmen? Das Frage ich mich schon die Ganze Zeit. Wenn Sie das vorher schon so eingeschätzt haben, haben Sie dann nicht die Verantwortung dafür und die Pflicht innerhalb ihrer Möglichkeiten "Schlimmeres" zu verhindern.
    Z.B. Absperrung vor den Zugängen zum Gelände?

  • Zitat von "Mister.Lange"

    Sehr interessant zu lesen. Es war wirklich eine Verkettung unendlich vieler kleiner Fehler.


    Ich erinnere mich an die Sendung Anne Will kurz nach dem Unglück. Da saß ein Herr von der Gewerkschaft der Polizei und hat mit für meinen Begriff zu großen Worten die Verantwortung auf alle verteilt. Die Polizei hat natürlich alles richtig gemacht. Damals habe ich mich schon gefragt wie er das zu dem Zeitpunkt so sagen kann.


    Wenn die Polizei schon vorher erhebliche Sicherheitsbedenken hat, aber von politischer Seite her ignoriert wird. Steht sie dann nicht in der Verantwortung in Ihrem Zuständigkeitsbereich, also vor dem Gelände, geeignete Maßnahmen gegen eine Übeefüllung zu unternehmen? Das Frage ich mich schon die Ganze Zeit. Wenn Sie das vorher schon so eingeschätzt haben, haben Sie dann nicht die Verantwortung dafür und die Pflicht innerhalb ihrer Möglichkeiten "Schlimmeres" zu verhindern.
    Z.B. Absperrung vor den Zugängen zum Gelände?


    Hier sieht man auch ganz deutlich den Unterschied zwischen Verantwortlichkeit und Verantwortung, zwischen Verantwortung tragen und Verantwortung übernehmen.


    Nach dem Interview stellt sich mir die Frage, wer denn nun wem gegenüber weisungsbefugt war. Anscheinend hat jeder jedem Weisungen erteilt und diese wurden dann mehr oder weniger gut oder schlecht umgesetzt. Eine klare Verantwortlichkeitsstruktur kann ich nicht erkennen.

  • Was erzählt der denn da? Unnützes Zeug..
    Crowd Manager...was ein Wort.
    Zu dem Zeitpunkt als es dem "crowd manager" allmählich mulmig wurde lief doch schon alles aus dem Ruder. Seine späten Erkenntnisse nützen jetzt auch keinem mehr.
    Und was soll der Ruf nach der Polizei? Lopavents Leute sollten für die Durchflussmengen sorgen!


    Nochmal zur Verdeutlichung: die Polizei hat nicht die Aufgabe die Zu und Abwege festzulegen - das ist Sache des Veranstalters und der Stadt! Die Polizei war mit nahezu 4000 Beamten vor Ort, auf Kosten der Steuerzahler. Lopavent hatte grade mal 1000 freiwillige Amateure zusammengesucht, von denen die rund 150 "Pusher" ihren Job nicht hinbekommen haben. Geschweige denn die Einlassregelung in die Tunnel. Das war nicht die Aufgabe der Polizei!


    Grundsätzlich: Stadt und Veranstalter haben im Vorfeld der Planungen komplett nicht kapiert was sich da anbahnte. Es fehlte definitiv an Fachkompetenz für die Ausrichtung so einer Veranstaltung. Man könnte aber auch von einer gewissen Selbstüberschätzung reden.