Populäre Audio-Mythen - heute: Der Haas-Effekt und Delayline

  • Aus gegebenem Anlass möchte ich hier noch einmal mitsprechen.
    Ich habe einen interessanten Artikel von NTI gefunden:


    http://www.akustiktest.de/pdf/…Schallpegelmesser-AL1.pdf.


    So hatte ich bisher nicht gemessen, also nicht an den von NTI besagten Messpunkten. Dennoch finde ich deren Konzept schlüssig,
    wenn man die aufgestellten Thesen/Anforderungen betrachtet. Aber wie klingt das dann...


    Kurz erklärt:


    AUFGABE
    Ein Auditorium mit Sprecher soll mit Delaylines supported werden, um bestmögliche Sprachverständlichkeit zu erreichen. Wie stellt man diese ein?
    1.Kriterium DELAY+ORTUNG: Nach Haas bitte die Ortung durch erste Wellenfront herstellen, also alle Delays so setzen, das der Sprecher immer einen Richtungsbezug bekommt. Anforderung gemäß Haas maximal 35ms für die Delayline, um noch die Ortung
    von vorne zu bekommen.
    2.Kriterium PEGEL+ORTUNG: Ein so eingestelltes Delaysystem darf lauter als als der Sprecher/Main PA sein, aber nur maximal 10db lauter. Dann bleibt die Ortung ebenfalls erhalten.


    UMSETZUNG:
    NTI rechnet vor, wie mit Messungen beide Kriterien eingehalten werden für ALLE Zuhörerplätze.
    Massgebend ist hier die Auswahl der Messpositionen:
    DELAY-wird am entferntesten Ort vom Sprecher gemessen (extremster Wert für das Delay), dann geben sie 5ms zusätzlich zum berechneten/gemessenen Delaywert hinzu, also keine 20ms...
    PEGEL-am nächsten zur Delaybox (höchster Pegel der Delaybox, der max 10db über Main PA/Sprecher liegen darf).


    ERGEBNIS:
    Auf allen Zuhörerplätzen werden die Kriterien erfüllt.




    Wow, dachte ich, dann muss ich in Zukunft genauso messen. Bisher hab ich allerdings immer die Messpunkte gesucht, wo PA und Delay ähnlich laut waren. Und hier denke ich liegt ein Unterschied: Ich lege beim Einstellen eines Delays auch Wert auf den Klang.
    Ich kann den Klang nur da sinnvoll einstellen, wo die Pegel ähnlich sind, um dort die Phasenlage 2er Lautsprecher in Einklang zu bringen (Sub-Top-Alignment, Delaylines, Fillsysteme...) und um dort die klangtrübendsten Interferenzen auszumerzen. Nur HIER sind sie am gefährlichsten für guten Sound.
    Daher finde ich die Messpunkte von NTI eher nicht geeignet bzw. würde erst hören, und dann die Messpunkte festlegen.


    In dieser Diskussion war das ja auch ungefähr Konsens, die Messpunkte an den Positionen gleicher Lautstärke zu messen.
    Letztendlich bleibt es doch so, das man immer einen Spagat zwischen Klang-Ortung-Pegel macht beim Einstellen von Delaylines
    oder sonstigen Delays.
    Der Sinn mit der Ortung/dem Richtungsbezug in einem Auditorium sehe ich ein, aber für PA und Rocknroll?
    Da ist mir Klang mindestens genauso wichtig.



    Wie seht ihr diesen NTI-Einmessvorgang in diesem Zusammenhang?




    mfg stefan


    P.S.: Was ich zB meine ist hier auf Seite 48-50 gut zu lesen:
    http://www.fullcompass.com/com…3-GRQ3100SeriesManual.pdf

    Ey Digger, ich bin Plugger, nich Rigger!


  • Interessant. Wenn man die Ortung in kleinen/mittleren Räumen vorne haben möchte, ist die Methode von NTI super.
    Ich bezweifele aber, daß diese Methode bei großen Räumen und/oder bei Musikbeschallung noch sinnvolle Ergebnisse erzielt.


    Die Frage ist nämlich: "Was ist das Ziel in dieser Betrachtung?" NTI gibt als Ziel die Ortung an. Damit ist der Haas-Effekt gesetzt. Eine genaue Aussage über Sprachverständlichkeit konnte ich bei Haas selbst nicht finden. Seine Forschung spricht von Ortung. Und von einer Veränderung der Klangfarbe, also eine Verschlechterung der Übertragungsfunktion (logisch, wenn man mal am Punkt gleicher Lautstärke misst, da schlagen die destruktiven Interferenzen durch). Das ist ja mein Haupt-Kritikpunkt an der Haas-Verherrlichung, er hat nicht von "Es wird alles lauter, toller und bunter" geschrieben, sondern von Ortung. Für Sprache mag die Verfärbung okay sein, da möchte man oft überhaupt eine möglichst hohe Verstärkung erzielen.


    Ich bleibe bei der Methode, die Punkte gleicher Lautstärke als Crossover-Messpunkt zu benutzen, den Haas-Effekt habe ich für die von NTI genannten Meßpunkte im Auge, es ist durchaus eine Idee, die auch zu messen, als "Worst Case Point", also zu checken, ob denn wenigstens nach Haas noch eine sinnvolle Ortung vorhanden ist, wenn schon nicht die maximale Addition erreichbar ist.

  • Deine Erwähnung von kleinen/mittleren finde ich in diesem Zusammenhang übrigens noch interessant: Man darf auch nicht außen vor lassen, dass man grundsätzlich in kleineren Räumen mit schallharten Oberflächen sowieso schon viel eher mit Kammfiltern zu rechnen hat.
    Es gibt dort aufgrund der kurzen Wege meist viel frühere und pegelstärkere Erstreflexionen. Daher fällt ein Signal mit unkorrektem Zeitbezug mehr oder weniger nicht so stark auf, man könnte gar von einer Art "Fehlerdiffusion" sprechen.


    In großen Sälen oder gar Arenen sieht das anders aus, die Reflexionen haben dort einen Echo-Charakter, eine falsch eingestellte Delayline fällt klanglich sofort auf.

    Freelancer für Audio Beschallung/Recording seit 2003 - Alle Beiträge spiegeln meine persönliche Meinung/Erfahrung als von Herstellern & Vertrieben unabhängiger Tonmensch wieder

  • Zitat von "audiobo"


    Es gibt dort aufgrund der kurzen Wege meist viel frühere und pegelstärkere Erstreflexionen. Daher fällt ein Signal mit unkorrektem Zeitbezug mehr oder weniger nicht so stark auf, man könnte gar von einer Art "Fehlerdiffusion" sprechen...


    gefällt mir :wink:

  • ich messe die zeiten der delaylines meist nicht im bereich gleicher lautstärke (ausser z.b. bei nearfills), sondern lege meinen messpunkt möglichst in einer linie zwischen hauptsystem und delaysystem etwas weiter hinter die delaylinie. das mache ich deshalb, weil ich im bereich gleicher lautstärke oft abweichnungen von der delayzeit gefunden habe, abhängig von der genauen position des messmikrofons in realation zur delaybox. denn oft hat man ja nicht gerade ideale bedingungen, z.b. wenn die delayline links oder rechts aussen stehen muss. somit stellte ich mir die frage, WO in bereich gleicher lautstärke ich das messmikro aufstellen sollte. und dann kommt ja noch die frage hinzu: wie laut ich die delaybox nacher wirklich aussteuere, hängt vom gesamteindruck ab. es kann also durchaus vorkommen, dass ich eine delaybox später lauter oder leiser brauche - und somit würde sich auch wieder der messpunkt verschieben. und im liveebetrieb hat man dann oft nicht die zeit für mehrfachmessungen.
    diese problematik wird etwas entschärft, wenn man etwas weiter hinter den bereich gleicher lautstärke geht, dann werden die messergebnisse gleicher im sinne von "sie differieren nicht mehr so sehr in abhängigkeit der messposition". für mich war das der ausschlaggebende punkt.
    ich akzeptiere somit im bereich gleicher lautstärke eine gewisse interferenz. da dieser bereich aber insgesamt der kleinste bereich der ausleuchtung der delayline ist, sehe ich das als machbaren komromiss. zudem beaufschlage ich die delaybox öfter noch mit einem kelinen zusatzdelay (wie bei NTi ebenfalls vorgeschlagen im einstelligen millisekundenbereich), was die eventuell hörbare interferenz in diesem bereich in aller regel erfolgreich entschärfen kann.


    nearfills werden dagegen meist ohnehin nur im bereiech gleicher lautstärke betrieben, sie dienen dort in der regel ja der signalauffrischung im präsenzbereich - und werden weiter hinten mangels pegel ohnehin gar nicht mehr wahrgenommen. also bleibt ja nur der relativ kleine bereich vor den speakern.


    nun ja, im leben ist eben alles irgendwie ein kompromiss ;)

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang