Mischen mit und für Gehörschutz?

  • Zitat von "simonstpauli"


    Was bei erhöhten Schalldruckpegeln auch zum Tragen kommt ist das Clipping des Gehörs selbst. Mit Gehörschutz ist man oft aus dem Clipping-Bereich wieder raus und kann so genau das hören, was gemeint ist (ob einem das dann unbedingt gefällt, ist noch eine andere Frage), zusätzlich hat man noch das Körpergefühl.


    Richtig, das ist ein Punkt, der häufig vergessen wird. Ein weiteres Problem ist der Gewöhnungseffekt.
    Ich mische daher meistens mit Gehörschutz (persönlich angenehmer), nehme aber etwa alle zwei Minuten den Gehörschutz heraus und kontrolliere Lautstärke und Klang. Mit frischen Ohren hört man besser.

  • Hallo,


    für mich wäre mischen (FOH) mit Gehörschutz ein absolutes No Go! Wenn einem Techniker sein eigener Sound zu laut ist muss er leiser machen oder er soll sich einen anderen Job suchen.
    Ich mische seit fast 40 Jahren Live Bands und bin nie auf die Idee gekommen mir am FOH einen Gehörschutz zu verpassen.

  • Es gibt halt auch Räume, die machen dich einfach fertig. Overheads aus, HiHat aus, Gitarren je nach Bühnenlautstärke auch aus, Snare auch, dann einfach untenrum anfüttern, Stimmen irgendwie drüber und Bier trinken gehen. Manchmal isses einfach so. Die meisten kleineren Hallen bieten übrigens nach aufwändiger Renovierung genau diese Eigenschaften. Hat man gut gemacht.

    The ships hung in the sky in much the same way that bricks don't.
    -- Douglas Adams

  • ich sehe das so:


    - wenn ein raum (und die band) praktisch ungeeignet ist, um vernünftige lautstärkepegel (also ohne gehörschutz) zu fahren, dann sehe ich es absolut ein, dass man sich da als tonmann selbst schützt und gehörschutz benutzt. der grossteil des publikums wird es in dieser situation (hoffentlich) auch so machen.
    - als monitormann ist es im prinzip egal, ob man mit oder ohne gehörschutz arbeitet, solange man die wünsche der musiker erfüllen kann.
    - und in vielen festivalsituationen finde ich es sehr vernünftig gehörschutz zu benutzen, wenn man nicht gerade selbst am pult steht.


    in situationen, in denen es möglich ist, einen für alle zuhörer angenehmen pegel zu fahren, halte ich es für grundfalsch mit stöpseln zu mischen. und in meiner erlebniswelt sind diese situationen ganz deutlich in der überzahl.


    meiner meinung nach sind viele zuhörer einfach gar nicht in der lage das selbst richtig einzuschätzen. wenn ihnen die musik gefällt, dann ertragen sie manchmal schier unglaubliche pegel, ohne mit der wimper zu zucken... aber wenn sie nach hause hgehen, dann preifen die ohren. dann ist´s aber zu spät, um drüber nachzudenken.
    ich habe erst vor zwei wochen ein konzert gesehen/gehört, wo der mischer die topteile seiner anlage gerade mal knapp über kopfhöhe aufgestellt hat (war eben weniger arbeit) und satte 115dB(A!) auf die ohren der zuhörer gegeben hat. die zuhörer waren schon etwas älter, es handelte sich um eine deutschrockband aus den 70ern, der gefahrene lautstärkepegel wäre da absolut nicht nötig gewesen.
    ich kann sowas überhaupt nicht verstehen, denn wir haben wenigstens eine mitverantwortung das gehör der zuhörer zu schützen (natürlich nur so lange es umsetzbar ist)



    Zitat

    Ich stecke mir schon öfters bei Bands nach den ersten 20 Minuten Stöpsel rein. Da ist ja das wichtigste gelaufen...

    diesen beitrag kann ich leider nicht nachvollziehen.
    wieso ist ein konzert nach 20 min schon gelaufen? bei mir ist ein konzert erst gelaufen, nachdem die letzte zugabe verklungen ist.
    und so lange haben wir den job, das ganze möglichst so auszusteuern, dass sowohl künstler als auch publikum voll zufrieden sind.
    ich dachte immer wir werden für den ganzen job bezahlt, nicht nur für die ersten 20 min. 8)

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Zitat von "cn"

    Wäre interressant, ob man einen Mischer, der mit Gehörschutz mischt, wegen vorsätzlicher Körperverletzung belangen kann.


    Theoretisch ja. Praktisch lässt sich meist noch nicht mal der zu hohe Pegel beweisen, geschweige denn der Vorsatz - und so ein Konstrukt wie "Beweislastumkehr" kennt das Strafrecht nicht. Zudem bekommt der durchschnittliche Staatsanwalt jede Woche so etwa 200-300 Verfahren auf den Tisch und ist auch bei deutlich heftigeren Delikten zur Verfahrenseinstellung gezwungen.


    Wenn in dem Bereich etwas passiert, dann ist es Zivilrecht, und dann trifft es den Veranstalter und/oder Betreiber. (Und wenn der Tontechniker nicht entgegen den Weisungen seines Auftraggebers lauter gemacht hat, kann ihm quasi nichts passieren.)

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • @ Wora: Man kann auch bewusst nicht-verstehen. Hätte billbo diesen Satz geschrieben, wäre er einfach stehen geblieben und abgenickt.


    Was ich meine: Ich hab in dem Zeitraum Gains, EQ's und FX so weit am stehen, das ich mir meinen -6db Stöpsel reinstecken kann wenn mir das Konzert grundsätzlich zu laut ist. Einfach nur um mir meine Ohren nicht kaputtmachen zu müssen bei ner Backline mit 110db.
    Das ganze gilt nicht für ein gemütliches Konzert bei 96, auch nicht bei 100. Aber drüber. Und dazu kann ich auch stehen.

  • Es geht beim Einsatz eines Gehörschutzes nicht darum, dass man dann noch lauter machen kann. Das sollte wohl jedem klar sein. Oberstes Gebot ist doch sowieso, so laut wie nötig, so leise wie möglich.
    Aber grundsätzlich ist man häufig in Situationen, bei denen man unter einem gewissen Pegel nicht arbeiten kann. Sei es nun auf Grund der Bühnenlautstärke, des Raums, des Publikums oder sonstwedigen Gründen.


    Es gibt viele Punkte, die für einen Gehörschutz sprechen:
    - Arbeitsschutz: Ab 85 dB(A) gemittelt über 8 h muss ein Gehörschutz getragen werden
    - das Gehör ist das wichtigste Arbeitswerkzeug eines Tonlers, eine mittelhohe Schallexposition über einen längeren Zeitraum kann auch schon schädlich sein
    - der Gewöhnungseffekt des Gehörs wird gemildert
    - die Ermüdung des Gehörs wird reduziert


    Der Argumentation, dass man bitte auch den Lärm, den man erzeugt, selbst voll hören soll, kann ich nicht folgen. Den Bediener eines Presslufthammers wird ja auch keiner auffordern, ohne Gehörschutz zu arbeiten. Oder Musiker und Schlagzeuger.

  • Zitat von "a.wild"

    ... Einfach nur um mir meine Ohren nicht kaputtmachen zu müssen bei ner Backline mit 110db.
    Das ganze gilt nicht für ein gemütliches Konzert bei 96, auch nicht bei 100. Aber drüber. Und dazu kann ich auch stehen.


    keine angst, in diesem falle bin ich da ganz deiner meinung! 8)

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Zitat von "HenrySalayne"

    ...Den Bediener eines Presslufthammers wird ja auch keiner auffordern, ohne Gehörschutz zu arbeiten. Oder Musiker und Schlagzeuger.

    das mit dem presslufthammer ist kein sinnvoller vergleich. der bediener eines presslufthammers hat nicht primär das ziel krach zu machen. da geht es um rohe gewalt gegenüber gesteinen, der lärm ist lediglich ein abfallprodukt davon.
    wir dagegen müssen einen bestimmten klang einem publikum hörbar machen, und zwar möglichst so wie es der künstler möchte - und das publikum auch. und das ist in den seltensten fällen mit dem lärm eines presslufthammers vergleichbar - aber auch hier bestätigt die ausnahme die regel 8)
    und wie die musiker mit ihren geräuschen und ohren umgehen, das sollte eigentlich nicht unser problem sein (indirekt aber machmal doch). wir sind lediglich dazu da, das umzusetzen was sie sich im monitor wünschen.


    Zitat von "HenrySalayne"

    ...Der Argumentation, dass man bitte auch den Lärm, den man erzeugt, selbst voll hören soll, kann ich nicht folgen.

    ich schon.
    wie gesagt: die ausnahmen, wo man für die gesamtlautstärke nicht verantwortlich ist, stehen hier natürlich dagegen. aber sie bestätigen lediglich die regel ;)
    es ist für ein gesundes ergebnis aus meiner erfahrung durchaus sinnvoll, nicht mit gehörschutz zu mischen. die gefahr ist dabei einfach zu groß, dass man die gesunden zuhörerohren überfordert.
    das ist meine meinung dazu, die ich durch erfahrungswerte gebildet habe. natürlich kann ich nicht ausschliessen, dass es kollegen gibt, die hier einen für alle optimalen kompromiss realisieren können. aber ich habe eben noch nie erlebt, dass das klappt. 8)

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Zitat von "HenrySalayne"

    Es gibt viele Punkte, die für einen Gehörschutz sprechen:
    - Arbeitsschutz: Ab 85 dB(A) gemittelt über 8 h muss ein Gehörschutz getragen werden
    - das Gehör ist das wichtigste Arbeitswerkzeug eines Tonlers, eine mittelhohe Schallexposition über einen längeren Zeitraum kann auch schon schädlich sein
    - der Gewöhnungseffekt des Gehörs wird gemildert
    - die Ermüdung des Gehörs wird reduziert


    Klar, das Gehör ist das wichtigste Werkzeug des gemeinen Tontechnikers. Er muss es schützen, um nicht Arbeitsunfähig zu werden.
    Doch was nützt es mir, mein Gehör zu schützen, wenn ich dadurch meinen Job schlicht nicht (richtig) machen kann?


    Um auch vorher angesprochene Punkte nochmal aufzugreifen:
    Wenn ich als Mischer so laut mische, dass ich es selbst nicht aushalte, dann ist es schlicht zu laut, meiner Meinung nach. Vor allem steht der Techniker dann doch meistens nicht unbedingt am aller lautesten Punkt... Und wenn ich den zugelassenen Pegel (sofern eingehalten) zu laut finde, hab ich wohl den falschen Job angenommen und sollte lieber... sanfte Akustik Bands mischen :D


    Es scheint dann doch ein guter Kompromiss zu sein, regelmäßig zu wechseln, praktisch seinem Gehör mal "eine Entspannung zwischendrin" gönnen, aber das Hauptaugenmerk auf das Mischen ohne Abdämpfung zu legen... Abgesehen davon, sollte man natürlich einen möglichst linearen, angepassten Gehörschutz besitzen, damit man selbst während den "Entspannungspausen" noch angemessen reagieren kann!

  • vor etwa 15 jahren habe ich bei einem wöchentlich stattfindenden party-gig in einem karlsruher club mal versucht, mit gehörschutz zu mischen. hintergrund war der, dass da der DJ die pegel für die liveband vorgegeben hat, und der typ hatte echt ein rad ab. damit die band nicht zu sehr abgefallen ist, musste ich immer mit dem gleichen pegel anfangen, den er vorgelegt hatte. und das waren oft etwa 110-115dBA am FOH. mir war das einfach zu laut, deshalb der versuch mit Elacin im ohr.
    aber es hat nicht funktioniert, ich hatte damit einfach null gefühl für die wirklichen pegel und konnte nicht abschätzen, ob da irgendwas weh tat oder nicht. deshalb hab ich das sein lassen und nie wieder versucht.
    da ich nach diesen paar jahren aber merkliche beeinträchtigungen im gehör hatte (tinnitus), kann ich gut verstehen dass es kollegen gibt, die in unerträglichen situationen ihr gehör schützen wollen. manchmal hat man es eben nicht in der hand, wie laut es werden wird, aus welchen gründen auch immer.


    ich kann hier beide seiten verstehen.


    was ich aber strikt ablehne, ist einfach grundsätzlich mit gehörschutz arbeiten zu wollen.
    das ist eindeutig der falsche ansatz.

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Howdy


    Selbst der linearste Gehörschutz ist nicht linear, weil der Körperanteil fehlt.


    Ein von mir sehr geschätzer Mischer, der aber auch recht empfindlich gegen hohe Lautstärken ist, hat sofort den 15er Elacin drin. Und wenn es richtig laut wird den 25er. Und je höher die Dämpfung des Gehörschutzes, desto schärfer wird sein Mix.
    Man hört mit den Dingern einfach anders.


    Für mich gilt: Was du dir selber nicht antuen willst, das tue auch nicht dem Publikum an. Was aber nicht heißt, daß ich mir bei langen Konzerten mal unterm Kopfhörer eine Erholungspause genehmige.


    Gruß
    Rainer

  • Zitat von "Loloverde"

    Selbst der linearste Gehörschutz ist nicht linear[...]


    Und außerdem ist unser Gehör auch nicht linear.

    Je lauter, desto linearer ist unser Gehör. Wenn wir unsere Ohren mit -15dB oder gar -25dB verstöpseln hören wir selbstverständlich völlig anders.

    Pragmatisch. Praktisch. Gut.

  • Zitat von "Loloverde"

    ... je höher die Dämpfung des Gehörschutzes, desto schärfer wird sein Mix.


    Logisch, weil niedrige Frequenzen hauptsächlich per Knochenleitung wahrgenommen werden, hohe per Luftleitung. Wird die Luftleitung durch den Gehörschutz gedämpft, bleibt die Knochenleitung trotzdem gleich.


    Es gibt zwei kleine Muskeln, die die Bewegungen der Knochen des Mittelohres bei zu lauten Schallereignissen reflektorisch verringern. Hört man nach einem zu lauten Konzert alles viel leiser, haben diese Muskeln bestenfalls nur einen Krampf. Die Frequenzlinearität ist damit natürlich auch zum Teufel.


    Ein Mischer, der sein eigenes Gehör vor der Lautstärke mit einem Gehörschutz schützt, zeigt eigentlich nur deutlich, daß er als Fachkraft bewußt die Gefährdung durch gesundheitsschädliche Lautstärkepegel für sich selbst zu vermeiden versucht, denen das Publikum ungeschützt ausgesetzt ist - unbeeinflußbare Komponenten wie Raumgröße, Bühnenlautstärke etc. mal außen vor.

  • Zitat von "cn"

    Ein Mischer, der sein eigenes Gehör vor der Lautstärke mit einem Gehörschutz schützt, zeigt eigentlich nur deutlich, daß er als Fachkraft bewußt die Gefährdung durch gesundheitsschädliche Lautstärkepegel für sich selbst zu vermeiden versucht, denen das Publikum ungeschützt ausgesetzt ist


    Möglicherweise - auch diese Variante sollte man immer in Betracht ziehen - hat er auch einfach nur einen Arbeitgeber, der die LärmVibrationsArbSchV zumindest halbwegs ernst nimmt.

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • Seh das so wie die Mehrheit hier.
    Gesetz hin und her, ich denke ich habe ein gutes Gespür für angemessene Lautstärke und was ich mir und einem Publikum zumuten kann. (Mehrere Jahre in der Schweiz mit den überall präsenten Leq Geräten haben auch geholfen Lautstärke einzuschätzen)


    Wenn ich aus irgendeinem Grund boykottiert werde dies zu tun nehme ich Elacin15 und überprüfe nur gelegentlich wo die Lautstärkeverhältnisse so stehen.
    In dem kleineren Club, in dem ich ein paar Jahre gemischt hatte konnte ich diese Gelegenheiten an einer Hand abzählen und es lag immer an absolut unbelehrbaren Musikern und ihrer Backline. Ich habe dann mit Ohrstöpseln Licht gedrückt und nur geschaut, dass der Gesang funktioniert. Irgendwann ist es auch mir egal, wenn ich vom Musiker keine Chance bekomme musikalisch zu mischen, dann ist das nicht mehr mein Problem, mir tut es dann nur leid um die Ohren der Gäste.