Unfall in Stuttgart

  • Allenfalls besser als eine Veranstaltung abzusagen.

    Ein weit verbreiteter Irrglaube in unserer Branche ist, dass Veranstaltungen stattfinden *müssen*.

    Zitat von Marian Humann

    Regisseur möchte einen brennenden Stuhl auf der Bühne, der mittels Zugstange nach oben fährt im Stück. Nach gängigen Vorschriften so nicht machbar.

    Laut welcher Vorschrift soll das verboten sein?


    Ein großes Problem in unserer Branche ist, dass GANZ VIELE Leute überhaupt keine Ahnung von Haftung, Verantwortung, sauberer Delegation und Veranstaltungssicherheit im Allgemeinen haben. Es passiert noch viel zu wenig...


    Ich lebe ja jetzt hauptberuflich davon, genau diese Themen zu unterrichten. Da fallen einem manchmal vor Entsetzen alle Haare aus. Wenn man in diesem Land gewerblich Toilettenschüsseln installieren will, muss man einen Meisterbrief habe, das ist so klar und akzeptiert. Wenn man Auto fahren will, ist jedem klar, dass das so gefährlich ist, dass man vorher in der Führerscheinprüfung zumindest in Grundzügen nachweist, dass man weiß, was man tut. Nur Veranstaltungen darf jeder Geschäftsfähige ohne irgendwelche Ahnung über die möglichen Gefahren planen und durchführen...


    MfG Tobias Zw.

    - inzwischen Verfechter einer *verpflichtenden* Ausbildung für Veranstalter und Techniker *und* eines höheren Kontrolldruckes -

  • Ein weit verbreiteter Irrglaube in unserer Branche ist, dass Veranstaltungen stattfinden *müssen*.

    Zumindest müssen sie nicht abgesagt werden wenn nicht alles nach Vorschrift läuft. Darauf wollte ich hinaus.
    Auch ein Beispiel aus meiner Praxis: §17 Abs.2 VStättVO spricht davon, dass ab 200m² Lüftungsanlagen vorhanden sein müssen. Da steht nicht, dass die angeschaltet sein müssen oder einen bestimmten Luftdurchsatz erreichen müssen. Sag ich eine Veranstaltung ab, wenn die Lüftungsanlage defekt ist? Hätte wohl kaum ein Gast Verständnis für. Vielleicht kann man die Veranstaltung ja trotzdem durchführen, indem mehr geheizt wird und alle paar Minuten quer durch den Saal gelüftet wird und RWAs geöffnet werden. CO und CO2 Sensoren verraten, ob die Luftqualität passt. Klar, absagen wäre einfacher gewesen.

    Zitat

    Laut welcher Vorschrift soll das verboten sein?

    VStättVO §35 Abs.2 Satz 1. "In Versammlungsräumen(...) ist das Verwenden von offenem Feuer(...) verboten"

    Das wird aufgeweicht in Satz 2 und 3, aber erstmal ist es verboten. Nur nicht alles verbotene ist auf jeden Fall verboten, in dem Fall findet sich die Verbotsaufhebung ein Satz weiter, in anderen Fällen eben in anderen Vorschriften, im gesunden Menschenverstand oder in einer Gefährdungsanalyse.

  • Ein weit verbreiteter Irrglaube in unserer Branche ist, dass Veranstaltungen stattfinden *müssen*.


    Das möchte ich mal unterstreichen. Die "The Show Must Go On"-Mentalität ist immer noch weit verbreitet. Daran muß unsere Branche weiter arbeiten, obwohl sich schon Einiges getan hat.

    Was mir auffällt: Gerade bei Load Outs wird oft nicht mehr so genau auf die Sicherheit geschaut, alle wollen nach Hause. Arbeitszeiten werden teils grob überschritten und vieles mehr. Da können wir uns alle mal an die eigene Nase fassen. Sagen wir im Ernstfall "Nein", wenn der Truck wartet?

  • neulich hat mir mal ein kollege eine geschichte erzählt, wo er als meister beim aufbau einer veranstaltung darauf hinwies, dass an einer bestimmten stelle keine theke aufgebaut werden darf - weil fluchtweg. er wurde daraufhin von einem bürgermeister zurecht gewiesen, der sagte "das wird heute trotzdem so gemacht, basta". er hatte dann versucht diese ansage von diesem bürgermeister schriftlich zu bekommen, aber der hatte dazu "keine zeit".

    er hat es dann also zugelassen. später hat er dann herausgefunden, dass besagter bürgermeister in dem moment gar nicht weisungsbefugt gewesen wäre (weil ganz anderer fachbereich) -

    Ich grübele jetzt die ganze Zeit, welcher Fachbereich denn erforderlich gewesen wäre.


    Also jetzt mal ausgehend von der Konstellation, dass dieser Meister da auch Verantwortlicher für Veranstaltungstechnik nach MVStättVO ist und die Betreiberverantwortung hat.


    Ja, ok, der Bürgermeister kann die Weisung erteilen, dass die Theke dort hin kommt, der Verantwortliche für Veranstaltungstechnik müsste dann (sofern der Fluchtweg erforderlich ist) den Betrieb einstellen, also keine Leute rein, oder wenn schon drin, dann halt räumen. Da weißt man natürlich den Bürgermeister freundlich darauf hin, was man da laut Gesetz tun müsste.


    Es mag jetzt noch etwas anders aussehen, wenn dieser Verantwortliche für Veranstaltungstechnik verbeamtet ist und dieser Bürgermeister Dienstvorgesetzter, Remonstrationsrecht und so. Aber das wäre ja eher unüblich.


    In welcher Konstellation könnte denn der Bürgermeister (jetzt mal unterstellt, die Halle gehört der Gemeinde, sonst noch viel weniger) da eine solche fachliche Weisung erteilen?

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • Ich habe auch schon Getränkebars vor Fluchtwegen gesehen als Gast. Wenn alerdings bei einem Saal für 2000 Leuten bei 300 geladenen Gästen ein Notausgang versperrt ist während der Notausgang direkt daneben frei ist und noch genügend andere Ausgänge frei sind sehe ich wenige Probleme. Ich würde sowas eben kommunizieren und nach dem Vieraugenprinzip mit einem ebenso ausreichend zur Gefährdungsbeurteilung befähigten Kollegen die Situation und meine Gedanken besprechen.

    Fachlich habe ich mit dieser Lösung überhaupt keine Probleme.


    Rechtlich gesehen: Baugenehmigung, evt. Sicherheitskonzept, das auf diesen Notausgängen basiert. Wenn etwas passiert, ist man darauf angewiesen, dass die Juristen dann eher pragmatisch als streng formal denken. (also z.B. "wegen dem fehlenden Fluchtweg hätte die Versammlungsstätte gar nicht mehr betrieben werden dürfen, also hätte der Unfall, als Besucher A über die runtergefallene Jacke von Besucher B gestolpert ist, auch gar nicht passieren können...")

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • Wenn etwas passiert, ist man darauf angewiesen, dass die Juristen dann eher pragmatisch als streng formal denken. (also z.B. "wegen dem fehlenden Fluchtweg hätte die Versammlungsstätte gar nicht mehr betrieben werden dürfen, also hätte der Unfall, als Besucher A über die runtergefallene Jacke von Besucher B gestolpert ist, auch gar nicht passieren können...")


    Das ist ja eine Frage der Kausalität. Wenn A über die Jacke von B stolpert und sich verletzt, ist der Notausgang nur natürlich kausal dafür verantwortlich, dass A sich verletzt hat. Eine adäquate Kausalität besteht nicht. In der Juristerei müssen aber Zusammenhänge i.d.R. adäquat kausal sein, damit man Rechtsansprüche ableiten kann.

    Der Ton macht die Musik.

  • In welcher Konstellation könnte denn der Bürgermeister (jetzt mal unterstellt, die Halle gehört der Gemeinde, sonst noch viel weniger) da eine solche fachliche Weisung erteilen?

    es gibt ja bürgermeister, welche die veranstaltungsbetriebe unter ihrer verwaltung haben. ich denke das wäre dann am ehesten der richtige gewesen. oder eben der oberbürgermeister. beides war wohl nicht der fall.

    das eigentliche problem, auf das ich hinweisen wollte, ist aber die tatsache, dass sich fachfremde personen in der regel überhaupt nicht vorstellen können, was für dinge wir so beachten müssen. die meisten meinen eben dass wir den job sowieso nur als hobby machen.

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Es kann in der Regel nur der Delegationsgeber die Delegation wieder entziehen. In diesem Fall wird dann sicher einer der BM, der "nur" BM ist und nicht der Delegationsgeber diesen Mist verzapft haben.


    Allerdings muss ich nochmal beim VfV einhaken. Der VfV ist nicht derjenige, der den Betrieb der Versammlungsstätte einstellt, sondern der Betreiber oder der von ihm bestellte Veranstaltungsleiter. Eventuell war das in diesem Fall eine Doppelfunktion. In der Praxis erlebe ich leider immer wieder, dass nicht sauber nach VfV, VA-Leiter oder Aufsicht Vorschrift 17/18 unterschieden wird.

    -> Arbeitssicherheit, Koordination Arbeitssicherheit auf Großveranstaltungen

    -> Sicherheitskonzepte

    -> Schulungen

  • Allerdings muss ich nochmal beim VfV einhaken. Der VfV ist nicht derjenige, der den Betrieb der Versammlungsstätte einstellt, sondern der Betreiber oder der von ihm bestellte Veranstaltungsleiter. Eventuell war das in diesem Fall eine Doppelfunktion.

    Diese Doppelfunktion meinte ich mit meiner Formulierung "und die Betreiberverantwortung hat."


    Eine solche Doppelfunktion bietet sich ja auch an (in Berlin drängt sie sich auf... "Der nach § 21 vom Betreiber oder vom Veranstalter beauftragte Veranstaltungsleiter muss die Anforderungen an einen Verantwortlichen für Veranstaltungstechnik erfüllen. ")


    Solange man als VfVT nicht in der Betreiberverantwortung ist, ist man ja auch fein raus: Man meldet das Problem dem Veranstaltungsleiter/Betreiber, und danach ist das ein "Problem anderer Leute".

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • "Übereinander zu arbeiten ist streng verboten" - interessante Aussage. Rechtliche Grundlage...?

    DGUV-V17 §19: " Während des Auf-, Um- und Abbaus ist der unnötige Aufenthalt im Bereich von Bewegungsflächen, auf Beleuchterbrücken, unter hochgelegenen Arbeitsplätzen sowie an sonstigen Gefahrbereichen verboten."


    Und: Weil man schlecht geplant hat (zeitlich oder personell) ist gefährliches Arbeiten nicht "nötig"...


    Mit freundlichen Grüße


    Tobias Zw.

  • Nun ja, es handelt sich um ein "Aufenthalts"-verbot. Also darum, dass niemand dort rumlungert, wie z.B. die ganzen Fußpilze am Open-Air-Monitorplatz bei beliebten Bands. Es kann durchaus notwendig sein, dass Arbeiten übereinander erldigt werden. Da bedarf dann allerdings einer entsprechenden Aufsicht und der konsequenten Benutzung der PSAgA.

    -> Arbeitssicherheit, Koordination Arbeitssicherheit auf Großveranstaltungen

    -> Sicherheitskonzepte

    -> Schulungen