Zitat
Mein Fazit seit mehreren Jahren: Ich mische meine Oldieband lieber selbst von der Bühne mit Kopfhörer, als uns den Hörgewohnheiten einiger "Tontechs" auszuliefern. Etwa neun von zehn Mischpultschraubern hören - was Musik angeht - NICHTS !!
Du kennst ja vielleicht Leute...
Aber mal im Ernst: Du lehnst Dich gerne mal mit viel Freude und ganz schön weit aus dem Fenster, was das Verhältnis des hochsensiblen, gebildeten, über den Dingen schwebenden Künstlers zu seinen schwitzenden, nichtsnutzigen, überbezahlten Hilfstruppen angeht. Einerseits finde ich so was ja klasse :D, andererseits schreit das natürlich irgendwann auch mal nach einer Antwort. Weil hier ‚Sonstiges‘ drüber steht, gerade Karfreitag ist, und außer Steuererklärung sonst nichts Großartiges anliegt – bitteschön, ein wenig offensive Kommunikation:
Jawohl, ich kenne ihn auch, den selbstmischenden Topchefchecker – Oldietanzkapellmeister. Der begegnet mir manchmal am Ende von dreitägigen Stadtteilfesten, nach der Schlagerstar - Playbackhauptattraktion des Wochenendes. Dort fährt er mit seinem E-Klasse - Kombi plus Einachshänger direkt vor die Bühne, als letzter 'Act' vor dem Abbau, wenn die eigentliche Schlacht bereits geschlagen ist. Und hat die Sache sofort voll im Griff.
Auf die geheuchelt freundlich vorgetragene Frage „hallo, wir machen hier die Technik, was braucht Ihr denn so alles von uns?“ folgt zunächst mal gar keine Antwort. Dann, nach einem längeren, angewiderten Blick auf die Feinheiten der im Prinzip seiner völlig unwürdigen Gesamtszenerie, ein gequälter Seufzer. „Lass‘ mal stecken Meister, das mach' ich alles selber. Du kriegst von uns einfach nur Links und Rechts. Und dreh‘ da auf keinen Fall dran rum.“
Die Idee finde ich zunächst mal prima; dann lässt sich die folgende Zeit mit etwas Sinnvollem verbringen. Schon mal ein wenig zusammenpacken, essen gehen, ein vorgezogenes Feierabendbierchen am Getränkestand – es gibt viele unerledigte Dinge zu tun. Der Lichtler hat halt Pech – aber der hatte dafür ja auch viel Tagesfreizeit.
Die paar Wedges und die vorsichtshalber mal vorbereitete Standardmikrofonie sind nebst Verkabelung auch blitzschnell weggepackt. Statt dessen beherrscht alsbald ein Wust aus grünen, gelben, blauen, roten, rosafarbenen Leitungen aller Art das Bühnenbild, die auf wundersame Weise irgendwie alle den Weg zum 01V oder Venice des mischenden Keyboarders/ Schlagzeugers/ Rhythmusgitarristen finden. Von den beiden für L+R zur Verfügung gestellten Kanälen funktioniert erst mal nur einer („tja, da ist wohl Euer Multicore kaputt!“), dann nur der andere („hm, hatten wir letzte Woche schon mal. Na gut, machen wir eben mono. Kannst Du mal ausprobieren, aus welchem was raus kommt?“). Nachdem der geflogene Backline – FI („Euer Strom geht nicht!“) zum dritten mal wieder eingeschaltet ist („komisch, den Bassverstärker habe ich doch gerade erst repariert. Hast Du mal 'ne DI – Box für mich?“) geht’s auch schon los.
Der sicherheitshalber bei +20 dB in Bereitschaft wartende Kompressor bleibt zunächst arbeitslos – bei dem, was da kommt, gibt’s auch nichts mehr zu komprimieren. Allerdings sind nach dem zweiten Song dann doch alle Lampen rot – seltsam, dafür ist doch eigentlich der Stift als Gainwache am FOH geblieben? Ah, den PAD bei laufendem Programm zu drücken hat er sich nicht getraut. Okay, der lernt ja auch noch.
Ansonsten – na ja, was soll man schreiben? Vieles im Leben ist Geschmackssache, auch Sound. Die Voraussetzungen zumindest sind gut. Laue, fast windstille Sommernacht, ordentlich geflogene, korrekt eingerichtete Beschallung, genügsame Kundschaft. Der Künstler muss wissen, was er tut, und zu vorgerückter Stunde klingt irgendwann Alles gut. Wirklich Alles. Ich etappe mich bei dem Gedanken, wie sich die Band wohl in der denkmalgeschützten, lärmigen, halb leeren Mehrzweckstadthalle nebenan anhören würde, und verwerfe die Idee sofort wieder. Dafür erwäge ich, ein hastig gemaltes DIN – A4 - Blatt (Tut mir leid, die Band mischt sich selbst!) an den FOH zu kleben und mich diskret ein paar Meter zu entfernen (habe ich tatsächlich schon mal gemacht :-D). Allerdings - an Ansagen mit Walllawallaecho werde ich mich NIE gewöhnen. Da steckt wohl der Fußschalter für's Echogerät in der falschen Klinkenbuchse. Künstlerpech.
Zum Glück interessiert all das um die Uhrzeit längst niemanden mehr. Die Jungs und Mädels vom Kulturamt sind über’s erste, zweite und auch dritte Feierabendbierchen deutlich erkennbar hinaus. Zahlendes Publikum gab und gibt es nicht. Die bei solchen 'Umsonst und Draußen' - Festivitäten unvermeidlichen Stadtindianer kübeln als letzte Gäste in die Rabatten rechts von der Bühne, da, wo das Multicore entlang läuft, und fordern 'laauuuter', 'Zuugaabe‘, und 'spielt mal Satisfaction, ihr Bühnengötter'. Irgendwann erscheinen die Kameraden der Task Force Orange mit ihren Kehrmaschinen und knatternden Zweitakt - Dreckpustern und bereiten dem Treiben ein Ende. Schluss jetzt. Aus, Feierabend. Abbau. Kommt in die Hufe, wir ham‘ Frühschicht!
Ein musikalisch - klangliches Kulturhighlight ist unwiederbringlich Geschichte.
Gleichzeitig beginnt es zu regnen.
Du siehst – so, wie man das Wort Musik auf verschiedenen Silben betonen kann, kann man auch dem Themenkreis Musiker – Techniker – Oldieband – Selbermischen durchaus unterschiedliche Facetten abgewinnen. Wie so oft, alles eine Frage des persönlichen Erlebnishintergrundes.
Mit freundlichem Gruß
BillBo (ebenfalls seit 30++ Jahren dabei)