Nachdem dies der universellste und abwechslungsreichste M7 – Thread ist, auch von mir ein paar Gedanken zu ‚Digital’ allgemein und ‚M7’ im Speziellen.
Wird die Zukunft digital? Darüber herrscht ja scheinbar Einigkeit, und zwar bei Befürwortern UND Gegnern. Nur noch ein paar Jahre, dann..... Allerdings: das höre ich jetzt schon seit ziemlich vielen Jahren. Gitarren und Schlagzeug waren auch schon mehrmals tot; die Zukunft hieß „Digitale Samples“, „Drumcomputer“, „House“, oder „Techno“.
Als bekennender Nostalgiker sehe ich „R&R“ im weitesten Sinne als Ursprung, Kern und, nach wie vor, durchaus auch weiterhin als Motor der gesamten Entwicklung unserer Szene. Solange die Plakate für die größten eintrittspflichtigen Veranstaltungen der Welt langhaarige oder anderweitig merkwürdig frisierte Exoten abbilden, wird sich daran vermutlich auch nicht viel ändern.
Ich spiele deshalb mal ein paar Szenarien aus dem R&R - (und meinem) Alltag durch.
1.) Dienstleister im renommierten, passabel laufenden 1000er Club. 100 Veranstaltungen im Jahr; vorwiegend kleinere/ mittlere internationale Rock/ Pop - Acts, für die „richtige“ Hallen zu teuer sind. Im Prinzip immer die gleiche Produktion; zur Vermeidung von Transport -/ Personalkosten der Einfachheit halber gleich auch am Einsatzort gelagert. FOH: ein älteres Midas XL/ Yamaha PM/ größeres Soundcraft nebst ordentlicher Peripherie. Kennt jeder, kann jeder, akzeptiert jeder. Betreuer gibt’s oftmals nicht – der macht während der Show Monitor (irgendwas Unkaputtbares von Soundcraft/ TAC/ Crest mit genügend Aux).
100 mal im Jahr das gleiche Ritual. Tourfraktion/ Band: „WIR BRAUCHEN (es folgt der bescheiden aufgestockte Rider der letzten Bon Jovi – Stadiontour)..... no A&H, no Behringer..... please no digital consoles..... unabdingbarer Vertragsbestandteil..... Abweichungen gefährden die Show“..... usw. usw. Veranstalter: „Deal ist Haustechnik, schaut bitte mal, ob’s damit geht. Extras gerne, gegen Berechnung“. Tournee: „Wie sind die Vorverkäufe? Okay, Haustechnik passt“.
Digitalpult (M7CL wäre für diese Größenordnung wohl angemessen) ? Auf gar keinen Fall bitte. Unnötiger Zusatzstress für Booker („könnt Ihr nicht noch mal mit dem Tonmann reden?“), Bandtechs, örtliche Betreuer. Keiner der Beteiligten will das wirklich.
2.) Die Brot – und Butter – Tournee. Nightliner, Hänger dran, fertig. 60 Shows in 65 Tagen. 60 mal hintereinander unterschiedliches Holz, unterschiedliche Mikros, unterschiedliche Akustik; unterschiedlich aufgelegte Musiker, unterschiedlich lautes Publikum, unterschiedlich befähigtes örtliches Personal; unterschiedlich akzeptables Umfeld (Catering, Duschen, Garderoben). 60 unterschiedliche Pulte.
Nein, Guma, ich möchte da gar nicht für alle möglichen infragekommenden Digitalpulte im Vorfeld mit Laptops, Editoren und USB – Sticks hantieren; vielleicht für eine Band, die ich vorher nicht so genau kenne, und deren Kanalliste oder gar Besetzung sich im Laufe einer solchen Tour durchaus auch schon mal verändert. Und am Veranstaltungstag, vor und während einer hitzig – heftigen R&R – Schlacht mit all ihren Unvorhersehbarkeiten, möchte ich das schon gar nicht.
Wenn ich als Bandtech gut drauf bin, nehme ich stattdessen ein paar Lieblingsmikros und Peripheriefavoriten mit. Hoffe, dass ich die nicht jeden Tag brauchen werde, und werde sie fast jeden Tag brauchen. Und erwarte örtlich analoges, bekanntes Standardgerät, an dem ich mir innerhalb weniger Minuten selbst zu helfen weis, auch wenn mal irgendwo was hakt und der Haustechniker des Tages vielleicht ausschließlich bulgarisch spricht.
Digitalpult? M7, vorkonfiguriert nach persönlichen Ideen und Vorlieben eines mir unbekannten, vielleicht sogar richtig fähigen Tonmenschen, der aber heute leider auf einer anderen Veranstaltung arbeitet und mir einen Kollegen geschickt hat? Siehe unter 1.)
3.) Festivalhopping. Egal, ob Stadtfest oder Groß – Open Air. Mal per Flugzeug, mal Nightliner, mal auch im Sprinter. Häufig auf den letzten Drücker. Ankommen, Linecheck, los. Hoffentlich hat mein Vorgänger ordentlich gearbeitet. Welchen Hall hat der eigentlich für Snare benutzt? Was soll’s, werd’ ich ja in ein paar Sekunden merken.
Digitalpult? Um Gottes Willen! Bevor ich mich auch nur an dessen grundsätzliche Eigenheiten rangetastet habe, ist die Show gelaufen. Und mein Star wird mich anschließend fragen, warum die Delays denn heute so ‚unmusikalisch’ geklungen haben.
4.) Die große Vollproduktion. Zwei Trailer, drei Trailer, viele Trailer. Auf ein paar Kilo und Euro mehr oder weniger kommt es nicht an. Von Veranstalterseite möchte man Band und Crew gut gelaunt sehen; man weis dort aus Erfahrung, dass das im Zweifelsfall die Performance der riskanten Großunternehmung sicherstellen hilft. „Was möchtest Du denn gerne so alles am Frontplatz?“
Ganz klar: mischen auf Digitalpulten ist Arbeit. Mischen auf XL4, Heritage, PM 4/ 5000 auch. Aber: darüber hinaus macht es damit auch richtig Spaß! Ein feines, silikongedämpftes ‚Conductive Plastic’ - Poti fühlt sich anders an als ein fizzeliges Endlos - Encoderknöpfchen. Ich höre analog, ich denke analog, ich bewege mich analog. Im Idealfall bin ich nicht „nur“ Techniker, sondern auch Teil der Band, und mit meinem „Instrument“ Teil der Show. Und nur, wenn’s richtig Spaß macht, kann ich dabei auch richtig gut sein.
Digitalpult? M7? Keine Frage, wenn ich freie Wahl habe zwischen Bösendorfer Concert Grand und Casio E - Piano, muss ich da nicht soo lange überlegen.
5.) Die Teilproduktion. Backline, Deko, Mikros, Plätze, Monitorsetup im 12 – Tonner. Ansprüche hoch, Budget und Transportkapazitäten begrenzt. Dafür aber Tourneeproben und etwas Zeit für sorgfältige Planung. In Ear sponsored by Sennheiser.
Digitalpult(e)? Ja, genau hier kann ich sie mir vorstellen. Auch einen M7, zumindest am FOH. Spart Platz, Geld und Gewicht; ich kann mich einarbeiten, mich an die Eigenheiten meines Arbeitsgerätes gewöhnen, mir in Ruhe alles so einrichten, wie ich es haben möchte, mit vertretbarem Aufwand ein gutes Ergebnis erreichen. Meinen Supidupi – Röhrenkompressor, den heiß geliebten Vintage - Hall o.ä. kann ich ja trotzdem mitnehmen, wenn ich es für nötig halte. Und letztendlich finde ich mich auch mit dem Gedanken ab, dass es mit einem XL4 ja eigentlich doch noch etwas schöner.......
Am Monitorplatz hingegen komme ich mit einem M7 hier u.U. schon wieder in Bedrängnis. Wir betreuen empfindsame Seelen. „Der hat Stereo – In Ear, will ich auch!“ Künstler denken nicht in profanen Zahlen. Mit 16 Aux, die ja auch Drum Sub, Sidefills, Notfallwedges etc. versorgen sowie als Effect Sends herhalten müssen, bin ich da eher am Ende, als mir lieb ist.
Meine Anregung daher für M7CL 2.0 (falls der Herr Yamaha hier gelegentlich mitliest): 24 Busse gibt’s eh; für den Monitorfall wäre es äußerst sinnvoll, statt 16x Aux + 8x Matrix ein Setup mit 8x Mono – Aux + 8x Stereo – Aux aufrufen zu können. Das dürfte rein auf Softwarebasis machbar sein (hypothetisier’ ich mal) und würde den potentiellen Anwenderkreis erheblich erweitern. DANN kauf’ ich mir das Teil vielleicht auch.
Persönliches Fazit: Zwischenstand DIGITAL vs. ANALOG 1 : 4; M7 dabei sogar noch mit zusätzlichen Einschränkungen. Zumindest in einem (dem?) wichtigen Kernbereich der VT; woanders (Theater, Gala, Industrie) mag man da natürlich durchaus völlig anders drüber denken.
Ob’s da so schnell für die allseits beschlossen scheinende endgültige Ablösung reichen wird?
Danke fürs lesen,
mit freundlichem Gruß
BillBo