Moin,
schöne Diskussion. Da möchte ich auch noch 3 Gedanken beisteuern.
Gedanke 1: beim Mischen arbeiten wir fast immer innerhalb enger Grenzen. Nach unten sind’s die Bühnenlautstärke, das Publikum, sonstige Nebengeräusche – da müssen wir mit dem Programmmaterial drüber (oder dran vorbei). Nach oben legen im Idealfall unser Ohr und unser Verantwortungsbewusstsein den Unterschied zwischen „das rockt“ und „zu laut“ fest; in der Praxis sind hier aber leider meist völlig andere Dinge maßgeblich.
Physikalische Grenzen: das Beschallungssystem ist ausgereizt – deutlich zu viel ‚Headroom’ hängt oder steht da aus ökonomischen Gründen seltenst rum.
Administrative Grenzen: gesetzliche/ behördliche Regulierungen befinden – national und regional mitunter äußerst unterschiedliche – Lautstärken für angemessen bzw. erlaubt.
Psychologische Grenzen: die Gattin des Herrn Aufsichtsratsvorsitzenden möchte sich „trotz der schönen Musik“ gepflegt mit ihren Freundinnen unterhalten und versteht sich auch darin, dem Eventagenturchef ihren Wunsch begreiflich zu machen („junger Mann, wie hieß die Firma noch gleich, für die Sie arbeiten?“).
Handfeste Grenzen: der nachlässig rasierte Tourmanager des sensiblen Tagesheadliners erklärt unmissverständlich „mach’ leiser, sonst schick’ ich Dir die persönliche Security vom Chef“.
Kurzum – das Fenster, innerhalb dessen wir für ein ordentliches Klangerlebnis sorgen sollen, ist sehr häufig erschreckend klein; mitunter mutiert’s zur akustischen Schießscharte. Und zwingt uns somit von Beginn an zu sorgfältiger Pegelarbeit.
Gedanke 2: ich kenne den Zustand des zur Verfügung stehenden (mitunter schon etwas betagteren) Arbeitsgerätes oft nicht wirklich, kann ihn anhand des äußeren Pflegezustands allenfalls erahnen. Ich weis aber, dass unter meinen Fingern einige tausend Schalt-, Schleif- und Steckkontakte lauern, die seit der Minute ihrer Herstellung leise vor sich hin oxydieren und nur darauf warten, mich genau heute im ungeeignetsten Moment mit höchst unwillkommenen Aussetzern zu ärgern. „!+ 10 dB!“ sind dagegen ein ganz anderes Argument als „(- 40 dB)“; schon von daher versteht es sich, mal ganz abgesehen von Geräuschspannungsabstand, Arbeitspunkten von Insertgeräten, usw. von selbst, einen Kanalzug (Subgruppenzug, Insert, Master,.....) korrekt, d.h. möglichst knapp unterhalb seiner Aussteuerungsgrenze, zu betreiben.
Während der ersten 10, 20 Jahre lernen wir das (hoffentlich!) und nehmen dabei PFL – Schalter, Kopfhörer, VU – Meter zuhilfe; später reichen dafür i.d.R. Erfahrung und die Clip – LED des Kanalzugs.
Gedanke 3: mal angenommen, das angebotene Programmmaterial ‚funktioniert’ (ok, jetzt wird’s etwas hypothetisch :-D). Die Band auf der Bühne spielt tight und professionell zusammen. Bassist und Schlagzeuger haben sich vorher schon mal gesehen und meinen beide die gleiche „1“. Alle agieren in vernünftigen Lautstärkeverhältnissen zueinander und machen dabei intelligent komponierte, klug und schlüssig arrangierte Musik.
Wenn ich jetzt, bei wie auch immer gegebenem ‚Fenster’, die Fader meiner korrekt gepegelten, ansonsten nur sparsam bearbeiteten Kanäle alle in Richtung „0 dB“ bewege werde ich feststellen, dass die ganze Angelegenheit schon erstaunlich nahe bei dem liegt, was ich mir unter „passt schon“ so vorgestellt habe. (Das gilt für alle ‚Fullrangesignale’, ein paar Exoten wie HiHat und OH werden aufgrund ihrer geringen pegelrelevanten Energieanteile auf diese Weise allerdings um einiges zu laut sein). Und weil das so ist und es darüber hinaus die vielen in den vorigen Beiträgen schon erwähnten praktischen Vorteile bietet (Regelweg und Faderauflösung, Wiedererkennbarkeit und subjektives Zuhausegefühl, Schnellstartfähigkeit), haben es sich vor allem erfahrenere Kollegen angewöhnt, bewusst oder unbewusst auf diesen sinnvollen „Ausgangszustand“ hinzuarbeiten.
Außerdem ergibt sich bei dieser Arbeitsweise viel freier Auflageplatz für Kopf und Unterarme. Und weil Veranstaltungen laaange dauern können, sind HH und OH bei mir deswegen gerne ganz außen links.
Mit freundlichem Gruß
BillBo