Hallo in die Runde,
ich möchte hier als "Immissions-Betroffener" mal eine fachliche Diskussion zur Berechnung der Schallausbreitung (besser gesagt Dämpfung) über die Entfernung unter verschiedenen Witterungsbedingungen aufmachen.
Sicherlich kennt jeder die durchaus unterschiedlichen Situationen, mal geht viel Pegel ohne Mecker von Anliegern, mal ist man mit gar nicht soviel zu Gange und es stört. Üblicherweise ist dies (Musikrichtung mal außen vor) zu Abendstunden hin kritischer als tagsüber, Problem logischerweise fast durchweg der Tieftonbereich.
Ich habe mich etwas durch die, soweit verfügbar, Teile der DIN ISO 9613-2 gewühlt, die die einzelenen Dämpfungen zu Wetterlagen, Bodenbeschaffenheiten, Frequenzbereichen etc in der Ausbreitung berücksichtigt (oder dies vorgibt zu tun). Allerdings gibt es in dieser obendrein einen Ausschluß "Inversionswetterlage über Gewässern", was bei mir zusätzlich greift, aber erstmal egal.
Aus den vorliegenden Auszügen kann extrahiert werden, dass der Pegel am Immissionsort sich wie folgt ergeben soll (wichtig, es wird hier immer von ausbreitungsgünstigen Bedingungen gesprochen, s.h. Mitwind):
Berechnung 1:
Lim = Lem + D -A
Lim = Pegel am Immissionsort
Lem = Pegel am Emmissionsort
D = Richtwirkungsmaß der Schallquelle
A = Dämpfung über die Entfernung (Summe aller dämpfenden Faktoren)
wobie sich A wie folgt zusammensetzt, Berchnung 2:
A = Ageo + Aatm + Abod + Aabsch + Aandere
Ageo = geometrische Dämpfung aufgrund Entfernung ("Kugelausbreitung")
Aatm = atmosphärische Luftabsorption (frequenzabhängig)
Abos = Absorption aufgrund Bodenbeschaffenheit (hart/weich)
Aabsch = Absorption aufgrund Abschirmungen
Aandere = verschiedene andere Absortionseffekte
Soweit so gut. Jedoch widerspricht das den Erfahrungen und meiner Ansicht nach auch grundlegenden physikalischen Gegebenheiten, denn:
- Temperaturschichtung bewirkt bei Inversionslagen (abends) eine Beugung der Schallausbreitung zum Boden hin
- Tagestemperaturschichtung beugt den Schall nach oben hin
- Mitwind bewirkt eine Beugung der Schallausbreitung zum Boden hin
- Gegenwind beugt den Schall nach oben hin
Betrachtet man Formel 1 und nimmt eine Punktschallquelle unmittelbar über harten Boden an (ruhige Luft, keine Temperaturschichtung, keine weiteren Einflüsse, also nur Ageo wirksam), so würde sich der Schallpegel hier mit den bekannten 6dB Pegelabfall je Entfernungsverdoppelung mindern. Die DIN ISO 9613-2 behauptet aber bereits, daß dies bei Mitwind der Fall wäre. Da habe ich ???
Ferner sieht die Berechnung keine Minderung der Dämpfung vor, wie sie sich nunmal aus Inversionslagen und Wind ergeben müßte (und dies aus reichlicher Erfahrung auch tut). Bei bestimmten Wetterlagen hab ich bei mir vor Ort Pegel, die am Veranstaltungsort sehr gepflegte Pegel herrschen ließen, wenn o.g. Formel wirklich korrekt wären. Dort ist es aber bei "Kontrollbesuch" nur eher üblicher Spaßpegel.
Einer der beiden konkreten Fälle:
Ich bin vom Veranstaltungsort 3km weit weg dazwischen Wiese, Deich, Wasser, Deichvorland. Am Veranstaltungsort Bühne und DJ-Zelt, normal angemessene Bestückung. Zielrichtung PA in meine Richtung, Dj-Zelt auch, letzteres nur die Tiefen ankommend. Ca 40-50% der Strecke gehen übers Wasser. Zu Abend-/Nachtstunden landen bei mir schon mal 65dB(A), "Bass-Spitzen" drüber.
In 200 m Enfernung zu den Bühnen in meine Richtung liegt eine Deichkrone, auf der müßten rechnerisch bei 6dB Pegelzuwachs je Entfernungshalbierung bereits 90dB(A) herrschen (sind da nie und nimmer).
Gefühlt sind auf der dortigen Deichkrone ca 75-80dB(A) vorliegend, was überhaupt nicht mit den Formeln der ISO9613-2 zusammengeht.
Ab der Deichkrone würde ich auch keine Richtwirkung mehr für den Bass ansetzen.
Meine Ansatz zu einer besseren Berechnung des Pegelabfalls (bei Inversionswetterlage und evtl leichtem Mitwind) würden in dem Denkmodell münden, daß sich der Schall wie in einer breiten Scheibe ausbreitet und fast gar nicht noch oben verloren geht, dank schallhartem Boden (Wasser/Watt) und Rückbeugung zum Boden hin durch die Temperaturschichtung/Wind. Das ließe eher auf eine vom LA gewohnte Ausbreitung mit ca 3-4dB Pegelabfall je Entfernungsverdoppelung schließen.
Meine Fragen nun in die Runde:
Wer hat sich mit diesem Thema schon beschäftigen müssen (Planung) bzw. ist damit aufgrund entsprechender Wetterbedingungen auf die Nase gefallen (sprich mehr Pegel an immissionskritischen Orten als erwartet/erlaubt)?
Wo sind Denkfehler in meiner Betrachtung?
Wieso paßt die Beobachtung nicht zu den DIN-Berechnungnen?
Gibt es vlt inzwischen neuere, korrektere Abschätzungsverfahren?
...
Grüße
Mattias
p.s.: Rubrik Veranstaltungssicherheit deshalb, weil eine gute Planung und ggf entsprechende technische Ausstattung sicherstellt, daß Veranstaltungen nicht wegen der Überschreitung der Grenzwerte der TA-Lärm gekippt werden (können).