Temperaturgang dämpfender Membranbeschichtungen

  • Hallo zusammen,
    ich habe letzten Sommer eine Frequenzweiche für eine 8"-1" Box gemacht, die recht gut gepasst hat und die beiden Wege bei ca. 2.2 kHz sauber aneinander gefügt hat. Beim 8"-Speaker handelt es sich um ein aktuelles Modell eines europäischen Herstellers mit dämpfender Membranbeschichtung. Die Marke soll einmal keine Rolle spielen.
    Nun habe ich heute wieder Gelegenheit gehabt, die gleiche Box im Freien zu vermessen, und war relativ entsetzt, weil es zwischen ca. 800 Hz und 3 kHz relativ unruhig ausgesehen hat.
    Bei 1.5 kHz ergibt sich eine Überhöhung von rund 3 dB, und darüber ein drastischer Abfall, der in der Summe zu einer Senke um 2...3 kHz führt. Ausserdem tritt die Membranresonanz bei 2.8 kHz massiv hervor.
    Ich habe das darauf zurückgeführt, dass die Messungen im Sommer bei gut 25°C und heute bei ca. 0°C gemacht wurden.
    Ich habe dann die Box drinnen wieder aufgewärmt und vermessen. Hier hat dann wieder alles so ausgesehen, wie es sein soll. Ich habe eine Messung der warmen und der abgekühlten Box übereinandergelegt:



    (der Absolutwert der Skalierung stimmt hier nicht, aber zur Darstellung des Unterschiedes reicht es.)


    Anscheinend unterliegen die mechanischen Parameter der Membran (und Sicken-) Beschichtung, besonders die Dämpfung, einem erheblichen Temperaturgang. Erstaunlich, wie sehr die innere Dämpfung bei tiefen Temperaturen hier zurückgeht.
    Hat jemand hier ähnliche Erfahrungen gemacht? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Euch für die Abstimmung von Lautsprechern, die Speaker mit beschichteten Membranen verwenden?


    Beste Grüße
    Wolfgang

    Gruss
    Wolfgang

  • Hallo Wolfgang,


    grundsätzlich ist der Einfluss der Temperatur auf die mechanischen Eigenschaften von Kunststoffen (hier vorliegend: innere Dämpfung) erheblich.
    Zu bemerken wäre weiterhin, das die beschriebene Dämpfung allein durch die Reibung der Makromoleküle untereinander im Polymerverbund des Kunststoffes dargestellt wird.
    Reibung erzeugt Wärme. :wink:
    Wenn Du jetzt die Geschichte eine Weile laufen lässt, erreicht das System eine Art von energetischem Patt, d.h. die zugeführte (bzw. erzeugte...) Wärme wird gleich der abgeführten.


    Für das System bedeutet das, die innere Dämpfung nur in einem definierbaren Temperaturbereich (vermutlich etwa Raumtemperatur +/-x) im Sinne des Erfinders korrekt funktioniert.
    Interessant an der Betrachtung ist außerdem, das mit sinkender Temperatur und damit einhergehend sinkender Nachgiebigkeit der Komponenten sich die Resonanzfrequenz des Systems nach oben verschiebt.
    Was bei Raumtemperatur noch wirksam bedämpft werden konnte, fällt bei tiefen Temperaturen aus dem Rahmen und kann nicht mehr ausreichend bedämpft werden, das ist wahrscheinlich der Umstand, den Du mit der Membranresonanz messtechnisch erfahren hast.


    Mit steigenden Temperaturen verhält sich das System verständlich entgegengesetzt.

  • Daß sich das Chassis bei unterschiedlichen Temperaturen unterschiedlich verhält, ist nichts neues. Einen noch größeren Einfluß hat hier allerdings vor allem die Sicke. Dämpfend beschichtete Leinensicken, Gummisicken oder auch Zentrierspinnen verhalten sich da einfach anders, sind steifer. Wenn es nicht zu kalt ist, kann der Betrieb u.U. die entsprechenden Teile genug 'durchwalken' und sich genügend an die Normalwerte annähern.

    You probably have the right hammer, you've just got to stop hitting your thumb.

  • Hallo zusammen und frohes fest,
    Danke für Euere Antworten. Jedenfalls war und bin ich doch überrascht, wie gravierend sich dieser Temperatureinfluss auswirkt. Ich halte dieses Phänomen nun nicht wirklich für vernachlässigbar. Ich frage mich auch, wieviel schlimmer das bei Boxen mit hoch getrennten 12 ern oder 15 ern ist, deren Verhalten Jenseits 500 Hz ja maßgeblich von der Bedämpfung der Sicken- und Membranresonanzen bestimmt wird. Gibt eigentlich irgend ein Lautsprecherhersteller zulässige Betriebstemperaturen bzw. Temperaturen an, bei denen die TSP als auch die Frequenzgangsdiagramme gelten?


    Beste Grüße
    Wolfgang

    Gruss
    Wolfgang

  • Die Temperaturbereiche, für die die Chassis vorgesehen sind, werden bei praktisch keinem Hersteller angegeben, sowas findet man meist nur bei ELA-Chassis, aber selbst da ist das nicht die Regel.


    Besonders kritisch sind Hochtöner mit Ferrofluid, weil die sich bei dauerhaft niedrigen Temperaturen auf Standgas (z.B. Weihnachtsmarkt) nicht genug selber erwärmen können. Sind die tief getrennt (also nahe der fs), sind die Klangunterschiede teilweise sehr groß, da sich die Zähigkeit des Fluids sehr auf die Impedanzkurve auswirkt und somit mit der Weiche interagiert und das zähe Fluid die Membran viel zu stark dämpft, da steigt der Klirr und es kommen kaum noch Details raus. Die Impedanz bleibt sehr flach, erst bei Erwärmung des Fluids stellt sich wieder ein Impedanzhöcker ein.


    Bei Aktivlautsprechern hat man natürlich nicht die Probleme mit der Weiche, aber die Elkos leiden sehr unter. Das ist auch der Grund, weswegen man Elektronik im Winter nicht in einem ungeheizten Lager aufbewahren sollte.


    Wenn man die Chassis sofort mit hoher Last betreibt, kann man auch zunächst nicht sichtbare Schäden hervorrufen, also etwa Risse im Material (Molekülketten reißen ab), Isolierung verabschiedet sich langsam bei den Schwingspulenzuleitungen, es können sich Knicke der Membran bilden (oder die Vorstufe dazu).


    Weitere Fallstricke sind übrigens in der Kälte spröde werdende Kunststoffgehäuse, einen Rempler oder Fall, der bei Raumtemperatur kein Problem ist, kann bei Frost schon zu einem Bruch führen. Daran sollte man auch denken, wenn Beschlagteile aus Kunststoff vorhanden sind (wird sehr gern vergessen: Neiger-Flansch aus Kunststoff!). Auch Kondenswasser ist ein großes Problem. Papp- oder Papiermembranen reißen feucht sehr leicht, die Elektronik mag das natürlich auch nicht.


    Was bei Kälte hervorragend funktioniert, sind Tonzeilen mit Breitbändern, die sehr dünne Textilsicken oder in den Membranrand eingeprägte Sicken haben. Mir ist klar, daß das nur selten eine echte Lösung ist, manchmal muß man einfach auch etwas Lebensdauer des Materials opfern (vielleicht noch nicht mal merklich).

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  • Zitat von "Wolfgang"


    Gibt eigentlich irgend ein Lautsprecherhersteller zulässige Betriebstemperaturen bzw. Temperaturen an, bei denen die TSP als auch die Frequenzgangsdiagramme gelten?


    Ich hab's jedenfalls noch nicht gesehen.
    Zulässige Betriebstemperaturbereiche findet man schon mal eher (z.B. "0-40°C"), aber TSP und F-Gang kann sich bestenfalls auf Normalatmosphäre beziehen.


    Die teilweise erheblichen Einflüsse der Umgebungsbedingungen auf die genannten Parameter sind auch einer der wesentlichen Gründe für den Umstand, labormässig messtechnisch ermittelte Messwerte als übergeordnetes Bewertungsmerkmal abzulehnen, weil, s.o.
    Die ach so ultra-linearen Frequenzgänge entpuppen sich dann rasch als Wunschdenken des Entwicklers.
    In letzter Konsequenz wäre eine fortlaufende Korrektur zur Einhaltung zwingend notwendig.


    Ich weiss von kommerziellen Outdoor-Installationen, bei denen die Lautsprecher über ein Relais im standby mit einer geringen Gleichspannung beaufschlagt wurden, um im Winter da so etwas wie ein bisschen Wärme zu verbreiten.
    Als Alternative wäre eine in der Box montierte Backofenlampe zu nennen.

  • Zitat

    Ich weiss von kommerziellen Outdoor-Installationen, bei denen die Lautsprecher über ein Relais im standby mit einer geringen Gleichspannung beaufschlagt wurden, um im Winter da so etwas wie ein bisschen Wärme zu verbreiten.


    Das haben wir ´79 bei einer Installation in einer open air Eisbahn gemacht. Allerdings nicht wegen der Chassisparameter (daran haben wir sicher keinen Gedanken verschwendet), sondern weil so die Box etwas wärmer wie die Umgebung ist und sich deshalb kein Kondenswasser bilden kann (war ein ungefaltetes 1,6 m Horn).



    Gruß SRAM

    I watched a snail crawl along the edge of a straight razor. That's my
    dream. That's my nightmare. Crawling, slithering, along the edge of a
    straight razor, and surviving.

  • @ Wolfgang:
    Habe ich ebenfalls mehrfach gesehen beim Einmessen bekannter Anlagen bei (teilweise SEHR) niedrigen Temperaturen - nach einigen Minuten Aufwärmphase (einfache Musikbespielung reicht) ist der F-Gang wieder normalisiert.

  • Als jemand, der in der Fußgängerzone nur in die Quadrate tritt und die Striche vermeidet, fühle ich mich durch solche Fragen nach eventuell vorhandenen Nichtlinearitäten furchtbar aufgewühlt und verunsichert. Dank dem Aufklärer!