Zur Messung der akustischen Phase

  • Für die meisten dürfte das Folgende ja ein alter Hut sein, aber vielleicht interessiert es ja den einen oder anderen trotzdem.
    Ich möchte auf eine messtechnische Problematik hinweisen, die - wie mir scheint - gelegentlich zu Missverständnissen führt.
    In letzter Zeit war häufiger lesen, nicht alle Messysteme seien in der Lage die akustische Phase richtig zu messen.


    Schauen wir uns mal die folgende Nahfeldmessung eines Tieftöners im geschlossenen Gehäuse an:



    Im Amplitudenfrequenzgang erkennen wir eine mehr oder weniger gelungene Butterworthabstimmung mit -3dB Punkt bei 85 Hz und einem irgendwie gearteten Tiefpassfilter (mein Computerlautsprecher mal wieder).
    Diesem Amplitudenfrequenzgang liegt folgende mit der Prerelease Version von Arta gemessene Impulsantwort zugrunde (Mikrokapsel: MK103, die Gefell 1"Infraschallkapsel mit -1dB @ 2Hz und entsprechend geringer Phasendrehung, Zweikanalmessung):



    Der Beginn der FFT Auswertung liegt direkt am Beginn der eigentlichen Impulsantwort.
    Nun werfen wir einen Blick auf gemessene akustische Phase und Minimumphase.



    Hmm - das passt nicht zusammen, ein dynamischer Lautsprecher verhält sich doch minimalphasig (haben wir gelernt).
    Das ist jedoch nur scheinbar ein Widerspruch.


    Der Hochpass 2.Ordnung (Butterworthabstimmung des Lautsprechers im geschlossenen Gehäuse) muss eine Phasendrehung um 180° aufweisen (Filterordnung * 90°).
    Dazu kommt noch die Phasendrehung durch den Tiefpass und das dem Lautsprecher inhärente Tiefpassverhalten.
    Für tiefe Frequenzen erreicht die Minimalphase jedoch nicht die +180°. Warum ist das so?
    Für die Antwort bemühe ich mal mein Filtertool und plotte mir den gemessenen Amplitudenfrequenzgang (blau), einen BW-Hochpass 2.O. (magenta) und eine Approximation des gemessenen Frequenzganges mit Filtern (grün).
    Die Filter zur Aproximation des Lautsprecherverhaltens können dem Bild entnommen werden. Wichtig ist, dass eben ein Highshelv Filter für das Hochpassverhalten verantwortlich ist 2.O. HS, 85Hz, +45dB).
    Gut zu erkennen ist, dass alle drei Kurven für Frequenzen < 200 Hz gut übereinstimmen, erst unterhalb von 10 Hz werden Unterschiede sichtbar.



    Nun zu den Phasenfrequenzgängen (die Farben bleiben gleich):



    Wie man sieht stimmen gemessene Phase und Hochpassphase recht gut überein. Die mit den Filtern modellierte Phase ähnelt stark der Minimalphase.


    Das Problem mit der Minimalphase ist die Berücksichtigung des Rauschens, bzw. Störschalls, der dafür sorgt, dass der gemessene Amplitudenfrequenzgang irgendwann nicht mehr dem theoretisch zu erwartenden folgt, sonder abflacht, oder gar zu tiefen Frequenzen wieder steigt.
    Wird nun anhand dieses Amplitudenfrequenzganges mittels Hilberttransformation die Minimalphase berechnet, weicht diese umso stärker vom theoretisch zu erwartenden Verlauf ab, je höher der Störschall- und Rauschpegel ist.
    Der Verlauf der Minimalphase weist eher den Verlauf eines Shelving Filters auf. Daher wurde auch in obigen Diagrammen ein Highshelving Filter zur Modellierung des Lautsprecherverhaltens verwendet.
    Zur Verdeutlichung sollen folgende Diagramme dienen. Hier wurde das Verhalten des Lautsprechers im Tieftonbereich mit 2.O. BW Hochpass modelliert (grün):



    und



    Hier ist die gute Übereinstimmung zwischen gemessener und modellierter Phase (die hier weitestgehend der Minimalphase entspricht) über einen weiten Frequenzbereich augenscheinlich.


    In der Grenzwertbetrachtung wird die Verwandtschaft auch schnell klar. Geht die Anhebung des Filters gegen unendlich, strebt die Phase dann gegen den Wert des entsprechenden Hoch- bzw. Tiefpasses.
    Dabei verschiebt sich das Maximum der Phasenkurve zu tiefen Frequenzen beim Hochpass und hohen Frequenzen beim Tiefpass.
    Auch das soll in zwei bunten Bildchen verdeutlicht werden:




    Die grünen Kurven zeigen einen Highshelv Filter 2. Ordnung mit fg = 10kHz mit Anhebungen von 3, 6, 12, 24, 48, 96, 192 dB.
    Es ist klar ersichtlich, dass sich das Maximum der Phase asymptotisch den 180° nähert, die einem HP 2.O. entsprechen. Für die Anhebung mit 96 dB besteht immer noch eine Phasendifferenz von ca. 10°.
    Übersetzt man nun diese Anhebungen in zu fordernde Störabstände für die Messungen wird schnell klar welch hoher Aufwand zu betreiben wäre, um die akustische Phase möglichst genau zu bestimmen.


    Wer bis hiehin gekommen ist, soll auch noch ein kurzes Fazit zu lesen bekommen:
    Zumindest für Arta ist die scheinbare Diskrepanz zwischen gemessener und Minimalphase erklärbar.
    Im gezeigten Beispiel eines sich minimalphasig verhaltenden Lautsprechers konnte gezeigt werden, dass die Abweichungen auf Unzulänglichkeiten der Messung zurückzuführen sind.
    Allerdings sollte bei allen Messungen auch das Phasenverhalten der Messkette berücksichtigt werden, das bedeutet bei Zweikanalmessungen mit dem zweiten Kanal als Referenzkanal, dass der Phasengang des Mikrofons bekannt sein muss.
    Aufmerksamkeit ist auch bei der Kalibrierung von Mikrofonen geboten.
    Bei der Ermittlung des Phasenganges des Mikrofons mittels Hilberttransformation des Amplitudenganges ist ein großer Rausch- und Störabstand von großer Bedeutung.
    (So viele Worte für so eine Banalität...)
    Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


    Edit: Thumbnails eingefügt

  • Ich klopfe mal stellvertretend fuer das Auditorium - sauber erklaert.


    Unter welchen Bedingungen hast du denn den Frequenzgang des Treibers gemessen (welcher Abstand der Kapsel von der Staubschutzkalotte, welche MLS-Sequenzlaenge)?

  • Vielen Dank!


    Zu den Messbedingungen:
    Messobjekt war ein Gradient 15 cm Tiefmitteltöner (genaue Bezeichnung müsste ich erst raussuchen) im geschlossenen Gehäuse. Das Chassis hat eine inverse Staubschutzkalotte.
    Messabstand betrug ca. 5 - 10 mm (nicht mit Lineal bestimmt, sondern mit Auge, so dass die Membran eben nicht mehr am Mikro anstößt).
    Verstärker - irgendein HiFi Dingens, ausreichend linear - war so eingestellt, dass am 8 Ohm Messwiderstand eine Spannung von 2,83V gemessen wurde (gemessen mit Sinus bei 100 Hz, Multimeter: Voltcraft 4095)
    Messsoftware war Arta Prerelease Version, Messtimulus: Periodisches Rauschen, Sequenzlänge 128k, Samplerate 96kHz => Länge der Impulsantwort: 1, 36533 s.
    Soundkarte: Terratec Aureon 7.1, Lineout an Eingang besagten Hifi Verstärkers.
    Mikrofonkapsel war MK103 an MV201, der am Präzisionsimpulsschallpegelmesser 00 017 (PISPM) angeschlossen war. Der Wechselspannungsausgang des PISPM war mit dem linken Linein der Soundkarte verbunden, am rechten Linein wurde der Ausgang der Endstufe über einen Spannunsteiler mit 20 dB Dämpfung als Referenzkanal eingespeist.
    Die Mikrofonempfindlichkeit wurde vorab mit Pistonfon PF101 Typ 00 003 bestimmt, PISPM war auf Bereich 120dB eingestellt (eben so, dass eine brauchbare Anzeige entsteht -> maximaler Störabstand).
    Die FFT wurde mit den in Abbildung 2 (Impulsantwort) eingestellten Parametern durchgeführt.
    Ich hoffe ich habe nix vergessen.
    Weitere Fragen, Anregungen, Meinungen?

  • mein verspäteter beitrag/ nachfrage...


    das ein LS für sich betrachtet meistens doch nicht das minimalphasige system ist, haben wir ja jetzt erfahren.


    die frage die ich jetzt habe zielt aber in eine etwas andere richtung, speziell die auswertung für die simulationssoftware betreffend.


    beispiel (rcf-treiber auf kleinem horn, messabstand ~2m):


    man sieht die impulsantwort, und den marker direkt am beginn der impulsantwort, rechts das fenster zum ausblenden der reflektion:


    amplitude und phasengang:


    soweit, so gut.
    ich habe aber noch eine andere form der bestimmung des bezugspunktes für die akustische phase; das akustische zentrum.
    diese auswertungsform kennt man z.b. aus der PP (messungen vom goertz).
    dabei setze ich den marker mitten in die impulsantwort "hinein" und markiere das energetische maximum des impulses (umbruchpunkt zwischen ein-/ ausschwingvorgang).


    marker gesetzt, man beachte die positionsbezeichnungen für den beginn der auswertung und für das gate im unteren bildrand.



    was ich mir nun denke, ist, dass bei dieser darstellungsform zum zwecke der frequenzweichenentwicklung die unterschiedlichen schallentstehungsorte der chassis in einer box über den phasenversatz genauer erfasst werden können, da jeweils vom beginn der messung (linker cursor 0,000ms) bis zum akustischen zentrum die "abstände" bestimmt würden.


    die phase wird dann so angezeigt, dass sie bis 20khz auf ~0° ausläuft, was in der regel sehr gut funktioniert (hier grade mal nicht, hmm!).


    dazu hier noch die phasenfrequenzgänge im vergleich:



    ...zugegebenermaßen eine ziemliche anfängerfrage, aber: welche darstellungsform hat für den import in ein simu-programm welchen vor-/nachteil?
    oder ist es schlichtweg egal, solange ich nur alle miteinander zu "verbindenden" chassis über die jeweils gleiche methode zur bestimmung der phasenlage auswerten lasse?



    ich frage vor allem deswegen, weil die simusoftware grade [mal wieder] der realität völlig entgegengesetze ergebnisse liefert ;-).


    .... mit der bitte um erläuterung,
    fabian

  • Zum Füttern der Simulation verwende ich zwei Möglichkeiten:
    1.) Phase bezüglich des Impulsmaximums: So wird die Phase für den Einzeltreiber üblicherweise dargestellt (hast Du ja schon festgestellt).
    Mit diesen Werten muss in der Simulation die Lage des akustischen Zentrums manuell eingestellt werden. Allerdings diese Darstellung im Vorentwurf sinnvoll.
    2.) Einen festen Zeitpunkt vor dem Beginn der Impulsantwort wählen und diesen für alle Treiber beibehalten. Das setzt voraus, dass die Zeiten, die das Messsystem misst, korrekt - also absolute Zeiten - sind. Wenn ich mich recht erinnere geht das mit Hobbybox nicht, mit Arta im Zweikanalmodus.
    Diese Variante verwende ich, wenn die Treiber auf der Schallwand fest sind, oder die Lage zwischen Top und Sub fix ist. Hiermit bekomme ich also die tatsächliche Phasenbeziehung zwischen den Einzelnen Wegen. Das ist ist dann auch Grundlage für die Delayeinstellung der einzelnen Wege (für Controllereinstellung). Dabei wird dann die Steigung der Phase im Übergangsbereich angeglichen und ein evtl. vorhandener konstanter Phasenoffset ausgeglichen. Falls eine passive Weiche ausgelegt werden soll ist diese Darstellungsart ebenfalls die Grundlage, eben weil die Phasenbeziehung zwischen den einzelnen Wegen stimmt.

  • okay, so wie du in 2.) beschrieben hast ging ich bislang auch immer vor, eben weil ich so den laufzeitunterschied meinte einfangen zu können (cursor blieb immer auf zeitpunkt null, ganz links also).
    merkwürdigerweise liefert die simu mit diesen theoretisch richtig ermittelten daten [neuerdings!!] nur unsinn.... nun gut, rest per email!



    p.s.: hobbybox löscht automatisch die laufzeit und schiebt den beginn der impulsantwort auf ein oder zwei ms an den impuls heran. was das soll habe ich noch nie verstanden!
    mit arta hat man stets die vollständige laufzeit vor augen ;-).