DISKUSSION: Fluchtwegbreiten

  • Aus dem "Sitzungsprotokoll 18. 6. 2010 bei Lopavent":


    Zitat

    Entfluchtung: Nach der Sonderbauverordnung müssen bei 220.000 Besuchern 440 Meter Fluchtweg nachgewiesen werden. Lopavent hat bisher 155 Meter nachgewiesen, da sie es aus ihrer Erfahrung für ausreichend halten, wenn 1/3 der Personen entfluchtet werden können.


    Hier stellen sich mir folgende Fragen:


    1.) Woher bezieht Lopavent diese Erfahrung? Gab es mal in deren Verantwortungsbereich ein größeres Unglück, bei dem sich die Entfluchtung von 1/3 als ausreichend herausgestellt hätte?


    2.) Es mag bei größerem Gedränge ausreichend sein, 1/3 der Besucher heraus zu nehmen. Wie sieht aber das Szenario aus, wenn alle Besucher schnellstmöglich das Gelände verlassen wollen (Gewitter, Hagel, Orkan, Attentat...)


    3.) wurde in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt, dass beispielsweise die Tunnel verstopft sein könnten, weil sie von den Besuchern aufgesucht werden, da sie vor Unwetter Schutz bieten, aber nicht mehr verlassen werden?

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • Wie sieht es eigentlich mit der Nutzung eines solchen Tunnels aus ?


    Mir stellt sich die Frage wesshalb der Tunnel nicht in versch. Bereiche in der Länge eingeteilt worden ist.


    Also je Richtung mit einkommenden und ausgehendem Verkehr sowie Servicegänge an den Seiten für Fahrzeuge, welche auch noch als Notausgänge hätten genutzt werden können.


    Zumindestens aber eine strikte Trennung der Flussrichtung wäre doch nötig gewesen, oder ?

  • Die geforderten Zu und Abwegbreiten (bzw Fluchtwege) konnten nicht bereitgestellt werden, da das Gelände diese Möglichkeiten nicht bietet.
    Lopavent drohte mit einem Abbruch der Verhandlungen, was die Duisburger Rathausspezis unter Kommando von OB Sauerland von einer Durchsetzung der Bauamtsauflagen absehen ließen.
    Sauerland wollte unbedingt diese Veranstaltung.
    Zu den Fragen:
    1) Der Veranstalter hat keine Erfahrungen mit Fluchtwegen aus praktischem Anlass.
    2) Das war denen egal.
    3) Der Veranstalter und die Stadtplaner haben sich dazu keine Gedanken gemacht.

  • Hallo,


    jetzt will ich als mit Sicherheitsdingen befaßter Bauingenieur mal was zu den Rettungswegbreiten einwerfen.


    Das ist hier m.E. keine Rechenaufgabe, das ist komplexer, und eigentlich im Vorfeld nur unter Einbeziehung von Erfahrungen anderer Veranstalter lösbar, die mit solchen großen Personenströmen praktische Erfahrung haben.


    Die Flucht- und Rettungswege an sich waren hier nicht relevant, es kam schließlich zu keiner Eavkuierung des Geländes.
    Im Übrigen dürfen die Fluchtwegbreiten aller Notausgangstore addiert werden, die Rampen und Tunnel sind da nur ein Element.
    Aber ein entscheidendes.


    Das Gedränge ist hier nicht aus einer Gefahrensituaition (Feuer, Anschlag) heraus, sondern beim normalen "Befüllen" des Areals entstanden. Offenbar wurden Zu- und Abgangsströme nicht wie erforderlich entkoppelt. Das streift die Schuldfrage, weil die baulichen Voraussetzungen ja im Vorfeld zu planen waren. Konkret: die Gestaltung des gesamten Tunnel- und Rampenbereiches.


    Man kann jetzt sagen: ja, es waren ja beidseitig Tunnel vorhanden, und zwei Rampen plus noch ein steiler, erklimmbarer Hang zwischen den Tunneln. Dann stellt sich wieder die organisatorische Frage, warum von außen kein Druck aus dem Gedränge genommen wurde.


    Die Tunnel und Betonwände haben offenbar, neben der fehlenden Personenstromentkopplung auf der Hauptrampe, ihren Teil zum körperlichen und seelischen Einengen der Besucher beigetragen.


    Insofern zielt die Frage der Fluchtwegbreiten schon in die richtige Richtung, aber genauer müßte es heißen "ausreichende Wegbreiten" und konkret "ausreichende Breiten und bauliche Gestaltung im Tunnel- und Rampenbereich".


    Offensichtlich haben sich die Beteiligten darauf verlassen, daß die (schon erkennbaren) baulichen/wegemäßigen Mängel durch organisatorische Maßnahmen (Ordner, Polizei) irgendwie ausgeglichen werden.


    Zu denken gibt in diesem Zusammenhang auch, daß ein Run auf die besagte Treppe einsetzte (wo die meisten wohl zu Tode kamen) und sich dort der Druck erhöhte, obwohl auf der Rampe weiter seitlich oder oben Platz zum Ausweichen war (laut einem Augenzeugenbericht).


    Es war letztlich, kurz gesagt, für die Menge der Menschen im Bereich Tunnel und Rampe zu eng. Das kann man aber nicht einfach aus VStättVO mit ihren 1,20 je 600 Personen (Versammlungsstätten im Freien, sonst je 200 Personen) nicht so einfach ableiten. Die knapp formulierten Vorgaben der VStättVO müssen von den Verantwortlichen Planern (und Prüfern) noch präzisiert und auf das konkrete Gelände umgesetzt werden.


    Insofern ist eine Aussage des Veranstalters: "mussten wir noch nie nachweisen", "müssen nur 1/3 entfluchten" schon irgendwie "hemdsärmlig" und bezeichnend, auch wenn Flucht- und Rettungswege im eigentlichen Sinne hier gar keine Rolle spielten....


    Widersprüchlich?
    Ja, das ist alles etwas widersprüchlich, das ist es.


    Michael

  • gibt es neben der Breite nicht auch andere Kriterien, die an Fluchtwege gestellt werden? Zumindest IN Gebäuden kommt es doch auch auf die Länge an, oder?
    In Stadien sollte es ähnlich sein, da werden mehrere Block-Ausgänge in Fluchttunneln zusammengefasst und dann ist man von den tatsächlichen Örtlichkeiten doch gar nicht mehr so weit entfernt.


    Beim schnellen Googlen bin ich auf die Arbeitsstättenverordnung gestossen, die explizit auch Fluchtweglängen nennt, aber:
    "Diese Arbeitsstättenregel gilt nicht
    - für das Einrichten und Betreiben von
    a) nicht allseits umschlossenen und im Freien liegenden Arbeitsstätten"
    Quelle: http://www.gaa.baden-wuerttemb…vlet/is/16486/5_A2_03.pdf


    Und grundsätzlich trifft die ArbStättV hier ja auch nicht zu.
    Gibt es noch andere Verordnungen zum Thema?


    Edit: sorry, ich bin zu langsam. das bezieht sich nicht auf Michaels Posting

    Die Wahrscheinlichkeit des Geschehens steht im umgekehrten Verhältnis zum Wunsch. (Murphy)

  • Zitat von "ibkoeppen"


    Die Tunnel und Betonwände haben offenbar, neben der fehlenden Personenstromentkopplung auf der Hauptrampe, ihren Teil zum körperlichen und seelischen Einengen der Besucher beigetragen.


    Dabei fällt mir auf, dass Schleusen, Gitter usw. ja i.d.R. aus glatten Metallen sind, durch die man sich mangels Reibung auch gut durchschieben kann.


    Rauhe Betonwände wiederum dürften die Propfbildung nach noch deutlich beschleunigt haben. Ausser dem Bodenbelag sollte also auch die Beschaffenheit der Wände berücksichtigt werden.

  • Moin,


    Zitat von "Admin"

    3.) wurde in der Gefährdungsbeurteilung berücksichtigt, dass beispielsweise die Tunnel verstopft sein könnten, weil sie von den Besuchern aufgesucht werden, da sie vor Unwetter Schutz bieten, aber nicht mehr verlassen werden?


    Eine gute Frage, nach meinen Erlebnissen mit Regen und Publikum ein weiteres Argument den Tunnel nicht im Normalbetrieb für Publikum zu nutzen. Schon teilüberdachte Veranstaltungen sind sehr heikel wenn viele Menschen reindrängen.


    Flucht UND Rettungsweg.


    Tunnel:


    Was benötigt eine Menschenmenge, um einem bedrohlichen Ereigniss >>in ihrer Mitte<< entfliehen zu können? Wege in alle Richtungen, mit ausreichender Kapazität, nicht zu lang, die zu sicheren Sammelplätzen führen. Es ist wichtig die Menschen nach einem Unglück zu versammeln, um zu wissen, wo Verletzte hingeschleppt wurden, um dort die Menschen versorgen zu können, um zu erfahren, ob noch wer gerettet werden muß, da man nur so rechtzeitig erfahren kann wo und was passiert (ist). Zudem ermöglicht nur ein organisierter Sammelplatz, daß Rettungskräften Platz zum retten bleibt.


    An keinem Tunnelende/Rampenende ist diese Bedingung erfüllbar. Viel schlimmer noch, ein Platz für geflüchtete Menschen ist nicht einmal erreichbar, entweder ist eine "Vereinzelungsanlage" mit erheblichem Personendruck im Weg, oder ein Betriebs-Rückstau. Oder eben ganz real, Gegenverkehr als eigentliche Unglücksursache.


    Vereinfacht: der Tunnel hat im Betrieb KEINEN Notausgang und keinen Rettungsweg. Zwei müsste er haben.


    Warum der Gedanke jemand könne aus dem Tunnel fliehen wollen? Schaut in die Verordnung, da gibts keine Diskussion drüber, das wurde bereits erledigt, der Vorteil von Papier.


    Bis zu welchem Breite/Länge- Verhältniss ein umfriedeter oder eingehauster Bereich selbst den Verordnungen genügt ist solange ein Rechenexempel, bis die Weg-Länge ins Spiel kommt. Zum Beispiel haben große Supermärkte Fluchttunnel mitten aus der Fläche über das Kellergeschoss, weil der Weg zur Außenwand zu weit ist.



    Das Gelände:


    Hier nur Überlegungen. Auf der Stadtautobahn oder dem Bahnhof explodiert ein Flüssiggastank, alle Besucher wollen in eine Richtung weg. Was ist sicherer, eine Einfriedung mit 200kg/m, oder leichte Baugitter? Panik, Riot... Weder eine Mauer mit Ausgängen noch der völlige Verzicht auf Einfriedung schützt so viele Menschen. Die Mauer ist gefährlich, die Autobahn und die Gleisharfe auch. Es ist das Gelände selbst, das Ausweichräume braucht, denn außerhalb gibt es keine geeigneten. Damit komme ich wieder zum 4 Personen/qm- Wahnsinn. Ob, und wie schnell der Bahn, oder Autoverkehr zu stoppen ist... ...es könnte ausreichen, wenn Pufferzonen geschaffen sind. Doppelte, leichte Einfriedung, war das nicht eingerichtet? Der Eisenbahnverkehr wurde gestoppt? Die Autobahn gesperrt? 230 000qm für 300 000 Menschen, da möchte ich erstmal nachmessen, bevor ich den Taschenrechner nehme :wink:


    Am Beispiel Loveparade habe ich schon an anderer Stelle vorgeschlagen, den Autobahnabschnitt (nicht die Stadt) in die Veranstaltung zu integrieren, die Leute mit den Floats vom Bahnhof abzuholen, aber die Autobahn nicht in die Veranstaltungsfläche einzurechnen, und dort keinesfalls Gastronomie zubetreiben. Damit wäre viel Raum entstanden. Die realen Wege wären breiter gewesen, als die schön-gerechneten real waren. Tunnel- und Kreiselzugang hätten jeweils der Andienung, Rettungsweg und VIP Zugang dienen können.



    Viele Grüße, Bernd

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    ich bezahle nicht fürs hinhören, ich baue Beschallungsanlagen


    Das SD12 Fliegetop ist bei gleicher Endstufe um durchgehend 3 dB lauter
    als "vorbekannte" 12"/1" Bauweisen.


    Der Bass CB18S ist der Beste

  • Zitat von &quot;bernd häusler&quot;

    An keinem Tunnelende/Rampenende ist diese Bedingung erfüllbar. Viel schlimmer noch, ein Platz für geflüchtete Menschen ist nicht einmal erreichbar, entweder ist eine "Vereinzelungsanlage" mit erheblichem Personendruck im Weg, oder ein Betriebs-Rückstau. Oder eben ganz real, Gegenverkehr als eigentliche Unglücksursache.


    Vereinfacht: der Tunnel hat im Betrieb KEINEN Notausgang und keinen Rettungsweg. Zwei müsste er haben.


    Interessanter Aspekt.


    1.) Muss damit gerechnet werden, dass ein Tunnel entfluchtet werden muss?


    Meiner Ansicht nach: ja. Wir haben da zwar keine nennenswerten Brandlasten (bis auf die Besucher selbst), aber wenn da irgendein Depp beispielsweise mit CS-Gas/Buttersäure/Rauchbombe rangeht (man könnte sich da auch noch ganz andere Szenarien ausdenken...), wollen die Leute aus dem Tunnel raus.


    2.) Welche Menge muss entfluchtet werden können?


    Da das Störereignis sowohl nahe an der einen als auch an der anderen Seite des Tunnels auftreten könnte, muss nach beiden Seiten näherungsweise ein kompletter Tunnel entfluchtet werden können.


    3.) Wie könnte das aussehen?


    Bei den Vereinzelungsanlagen könnte man mit Absperrgittern einen (erst im Notfall zu öffnenden) Notausgang bauen, der so weit von den Vereinzelungsanlagen weg liegt, dass da nicht Tausende dicht gedrängt davor stehen. Oder man zäunt da einen Aufnahmeraum ein.


    Schwieriger ist das zum Gelände hin, weil man damit rechnen muss, dass man nicht oder nicht schnell genug ausreichend viele Personen auf das Gelände bringt.


    Wenn ich von diesem Konzept ausgehe:


    http://www.party-pa.de/phpBB/viewtopic. ... 8&start=37


    dann haben wir da zwischen den Tunneln eine kleine Pufferzone. Wenn die Pufferzone einen Teil aufnimmt, die Rampe einen Teil aufnimmt, der Tunnel im Regelbetrieb nicht allzu voll gemacht wird, somit auch noch im anderen Tunnel Reserve ist, um darüber abzuleiten (vielleicht schon gestellte Absperrgitter, die im Regelbetrieb eine "Überholspur" für Einsatzkräfte bilden), dann würde ich das für verantwortbar halten.


    Ja, wenn in beiden Tunnel gleichzeitig etwas passiert, dann kommt das Konzept an seine Grenzen. Allerdings wäre das eigentlich nur bei gezielten Angriffen zu erwarten, und dagegen kann man sich nicht mit zumutbarem Aufwand wappnen.

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess