Hallo zusammen,
um für die Zeit nach der Pandemie gerüstet zu sein wollte ich meine private Bühnentechnik-Ausstattung erneuern. Ziel: eine 32-Kanalige Lösung für Live-Veranstaltungen mit Multitrack-Recording.
Geworden ist es ein Presonus StudioLive 32SX, eine NSB16.8 Stagebox, ein StudioLive 16R Rackmixer der sich auch als Stagebox nutzen lassen soll, dazu diverse Kabel und Cases und ein 10" Tablet für die Fernbedienung. Zusammen ungefähr eine Investition von 5k€.
Nungut. Zuhause angekommen hab ich dann alles ausgepackt und erstmal angefangen, mich in den 16R einzuarbeiten.
Die App-Software "UC Surface" kann zwar IPv4, der Mixer kann DHCP oder statische IP-Vergabe und kennt auch eine Netzmaske und eine Gateway-Angabe. Machtman die App auf, findet sie den Mixer via Broadcast und man kann sich dahin verbinden.
Das funktioniert natürlich exakt so lange, bis der Mixer in einem anderen IP Segment steht wie das Tablet. Dann nicht mehr. Kein Problem würde man denken - man könnte ja IP oder Hostnamen des Mixers einfach direkt eingeben, so wie bei jedem IPv4-Client auf der Welt üblich.
Erster Hammer: leider Fehlanzeige. Einen Dialog dafür gibts in UC Surface nicht. Antwort vom Support auf das Ticket "Ihr habt den Dialog vergessen": "This is by design. You may file a feature request." Im Jahr 2020 nach Christus. WTF?
Nun gut, peinlich aber ich kann damit leben, obwohl es ab und an praktisch wäre. Also weiter.
Es gibt 16 Mic/Line Combo-Buchsen, einen AVB-Netzwerkanschluß, dem "Control" Ethernet Port, Main Out und 6 Aux Outs in Form von symmetrischen Klinken. Soweit wäre eigentilch alles gut (bis auf den Unfug, daß immer noch kein Hersteller erdfreie symmetrische Anschlüsse verbaut, man also auch 2020 noch mit DI-Boxen rumfummeln muß - auch so eine Peinlichkeit vor dem Herrn).
Dann gibts einen Dialog "Routing". Da kann man z.B. den 64 AVB-Kanälen jeweils ein Signal vom Mixer zuweisen. Standardmäßig ist ein Teil davon vorbelegt, die Belegung ändern ist eigentlich über einen Matrix-Dialog auch schön gemacht.
Nur: es ist nicht möglich, einen einmal verbundenen Kanal wieder komplett zu lösen, weil man den z.B. von einem anderen AVB-Gerät beschicken will. Man kriegt eine einmal gesetzte "black Box" in der Matrix nicht wieder weg, nur verschoben :-(.
Also neues Ticket: Ihr habt da ne Funktion vergessen. Antwort: "This is by design. You may file a feature Request". Ah ja
Es gibt übrigens auch nen SD-Karten-Recorder. Der kann bei dem Rackmixer nur Stereo. Presonus behauptet im Forum, den multitrack-fähig zu machen hätte die Rack-Mixer massiv verteuert. Komischerweise kann der SD-Recorder in den Deskotp-Modellen 34 Spuren aufzeichnen, und die scheinen bis auf die Controls hard- und softwaremäßig weitgehend identisch zu sein. Die Software dafür existiert also. OK, vielleicht ist der Kartenleser im Rackmixer biliger, aber bei nem Gerät für 800 Euro dann "massiv teurer"?
Ok, aber das nur am Rande. Interessant ist, daß in der Default-Belegung der Direct Out 1, der FX Return 1 und der linke Kanal vom Main Bus auf den Kanal 1 der SD-Karte geroutet sind, der Direct Out aller anderen Eingänge, der FX Return 2 und der rechte Kanal vom Main Bus auf Kanal 2. Man also im Grunde völligen Mist aufzeichnet, wenn man das so fährt. Deaktivieren kann man aber aus o.g. Gründen keine der Verbindungen, es läßt sich nur der Kanal wechseln. "By Design." Hä?
Weiter gehts mit den Channel Delays. Erfreulicherweise gibts in jedem Channel Strip einen "Delay" Regler. Sowas ist nützlich, um auf großen Bühnen die Mikros/DI-Boxen entsprechendd em Abstand zur Frontline zu verzögern, um Matsch aus dem Sound zu kriegen und die räumliche Darstellung zu verbessern.
Dumm nur: bei diesem Mixer (und wohl auch beim 32SX - hab ich noch nicht getestet!) greift der Delay allerdings nicht wie ich das von so ziemlich allen großen DIgitalmixern kenne vor dem Pan Pot, so daß den nur die Post Fader Sends abkriegen, sondern der sitzt direkt hinter dem Gain - die Pre Fader Sends (und zwar egal ob Pre1 "pre-#FX" oder Pre2 "post-#FX") werden also mit dem verzögerten Signal beschickt. Normalerweise verwendet man diese Sends für Monitorsignale. Wer um Gottes willen will auf seinen Monitoren ein verzögertes Signal haben und was soll das werden? Die Band ausbremsen?
Die Antwort des Presonus Supports, daß da doch wenigstens ein Switch hingehört um ein Pre-Delay Signal abgreifen zu können: "This is by Design, nothing is broken. You may file a feature Request" - von den "Feature Requests stapeln sich übrigens um die 800 auf der Presonus-Homepage.
Das ist dann schon ein erster Hammer, bei dem ich mir noch überlege, das Zeug wieder zurückzuschicken. Wahlweise ohne Channel Delays oder ohne Monitore arbeiten zu müssen geht eigentlich gar nicht.
Aber es kommt noch besser:
Es gibt zwei "FX" Busse, die sogar mit hochladbaren Plugins bestückt werden können. Zur Auswahl stehen Chorus, Flanger, diverse Varianten von Reverb. Kein Kompressor, was nicht so schlimm wäre weil die FX Busse wie alle Kanäle bereits einen zuschaltbaren Co/Li/Gate und einen 6-Band PEQ haben.
Hammer A:
Man kann diese FX Busse frei auf die 6 analogen Aux Outputs oder Network Kanäle routen. Für das Routing auf den Main Out gibts keinen Schalter. Support: "This is by design". Ich habe noch nicht herausgefunden, ob das Routing auf Main dann fest aktiviert oder deaktiviert ist, aber beides ist doch einfach nur Mist.
Hammer B:
Diese FX Busse würden sich wunderbar dafür eignen, Parallel Compression zu realisieren. _WENN_ man die Plugins abschalten oder bypassen könnte. Kann man aber nicht. Keines der Plugins hat einen Bypass-Schalter. Den Kompressor und den EQ im Bus kann man abschalten, das Plugin nicht. Man kann auch nicht "kein Plugin" wählen und es gibt kein NULL-Plugin.
Das heißt: Motown-Compression kriegt man auf diesem Pult mit den FX-Bussen nicht ohne zusätzlich nachgeschalteten Effekt (Hall, Flanger, Chorus).
Hier die Antwort vom Support:
If no audio is sent to an FX then it will not generate an effect.
FX channels can be muted.
Every plugin has an off/on option on the GUI and in Universal Control there is an off/on button.
FX busses are for FX only. This is the design of the mixer. Its not possible to use a FX channel for anything else other than FX.
FX is routed to the main on the main layer.
Darauf hin habe ich gefragt, wo denn der off/on Button der PLugins ist. Inclusive Screen Shots. Als Antwort wurde mir in den Screen Shots der ON/Off Button vom Kompressor markiert (einfach falsch) und der Mute-Button vom FX-Bus (noch falscher). Signiert war die Auskunft mit "Live Sound Support Lead". Der kennt offensichtlich sein eigenes Produkt nicht :-(.
Ja, und natürlich kam wieder die Emfpehlung mit, einen feature Request zu machen
Damit nicht genug gabs dann noch einen völlig offensichtlichen Bug in UC Surface. Ich hab da mal ein Video gemacht (ca 90MB):
http://www.dhv-staufen.de/temp/VID_20201215_191555.mp4
Es ist nicht möglich, auf meinem Android 10 Tablet einen Limiter Threshold als Wert einzugeben (BTW sitzt der Limiter scheinbar nach Delay, PRe-Fader Send, EQ, Gate und Kompressor im Kanalzug!) - die "-"-Schaltfläche des Tastatur-Controls wird nicht angenommen und positive Werte werden automatisch auf 0 zurückgesetzt (was korrekt ist).
Antwort im Forum:
"This is by your device." - gemeint war wohl das Tablet. Ah ja. Das Android 10 keypad Control kann also keine negativen Zahlen eingeben oder wie? Das wär doch sicher schon jemandem aufgefallen?
Ach ja, für die Kanäle gibts auch "Fat Channel Plugins". Da hat man dann die Wahl zwischen diversen EQ-Varianten und Kompressoren. Delay oder Hall gibts dort wieder nicht - damit hätte man das Pre-Send Problem ja vielleicht umschiffen können.
So alles in allem bin ich am sinnieren, ob ich das ganze Presonus-Zeug wieder zurückschicke und doch ein Soundcraft-Pult kaufe. Es gibt zwar ein paar interessante Features, insbesondere den Multitrack-Recorder in der Konsole, das eigentlich durchaus übersichtliche Bedienkonzept auch für "Analogies" und auch Maße und Gewicht sind für mich wichtig (ein Midas M32 z.B. wäre viel zu schwer, groß und unhandlich weil ich mein Zeug schon mal alleine durchs Treppenhaus schleppen können muß) und ne gescheite Android App fehlt Soundcraft leider auch.
Andererseits wäre etwa bei einem Si Impact halt der Delay einfach da in der Signalkette wo er hingehört, man kann einzelne Sends pre/post schalten (beim Presonus geht das nur mit dem ganzen Aux Bus) und man muß sich insgesamt irgendwie nicht ständig fragen, was die Produktdesigner und der Support des Herstellers eigentlich beruflich machen.
Wie sind denn die sonstigen Erfahrungen mit Presonus Pulten? Wird das irgendwann mal besser? Ist damit zu rechnen daß diese WTFs in absehbarer Zeit per Firmware-/Software-Update gelöst werden können? Oder stellen die sich immer so dermaßen unfähig an?