Blitzschutz auf Festivals

  • Zitat von "falcocgn"

    Zu diesem Thema kann ich aus meiner eigenen langjährigen Praxis einiges schreiben. Letztes Jahr bei AC/DC in Köln hatten wir darauf geeinigt, bei 80.000 Besuchern Open-Air eine entsprechende Reaktionszeit in in da Siko zu schreiben. Räumungsdauer Gelände 30 Minuten plus Reaktions- und Diskussionszeit im Koordinierungsgremium von 15 Minuten. Wir hätten also 45 Minuten vor Eintreffen einer Lage eine Entscheidung treffen müssen. Vorher wird das Wetter per DWD beobachtet. Sollte sich das Wetter verschlechtern, würden die Prüfintervalle verkürzt und noch die Blitzortungsdaten dazu genommen, um die Intensität und Zugrichtung einschätzen zu können. Das wäre Stand der Technik.


    Wie habt ihr die Räumungsdauer berechnet? Gelände leer? Und an welchem Punkt sind die Gäste dann nach 30 Minuten? Jeder in seinem Auto bzw. an einem sicheren Ort oder nur außerhalb des Veranstaltungsgeländes?

  • Die Räumungsdauer ergab sich aus Handrechnungen und wurde bestätigt von der Simulation, die die Behörden gefordert hatten. Massgabe war Gelände leer. Zusätzlich gab es die Möglichkeit für bis zu 20.000 Personen, unterhalb der Stadiontribünen Schutz zu suchen. Das Stadion war über die Straße.

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  • die Frage ist ja schonmal wer entscheidet? Im Fall RaR ist es ja jetzt so das ca. 80 Personen verletzt wurden, 2 Personen wurden anscheinend sogar reanimiert und trotzdem ist der Veranstalter und viele der anwesenden Gäste der Meinung es war nicht korrekt von der Behörde die Genehmigung zu widerrufen und damit den Abbruch herbei zu führen. Was muss also erst passieren damit auch Veranstalter und Gäste den Abbruch befürwortet hätten???

    In meinem Lexikon fehlt das Wort unmöglich!


    ASR Computer & PA Technik
    André Ruhnau
    Rosenstr.6
    78598 Königsheim

  • Kracky: Es soll das Ziel sein, das man reagiert BEVOR jemand verletzt wird.


    Offensichtlich (ich habe da auch Bestätigungen von vor Ort) hat der zuständige "Wetterfrosch" die Lage unterschätzt am Freitag.
    Aus 30 Minuten wurden 10.
    Daraus hat man aber am Samstag gelernt und konnte einen halbwegs sicheren Betrieb abhalten.


    Hier, was ich einem Beteiligten geschrieben habe:


    "Ist immer Kacke mit solchem Wetter. Da machst Du nie etwas richtig. Trotzdem nervt es mich, wie wenig dafür getan wird um die Blitz Lotterie etwas zu beeinflussen. Alleine ein paar Evakuierungswege oder gescheite Auswahl des Geländes wären angemessen."


    Und auf den Job von uns angesprochen:


    "was ich auch lächerlich finde ist, das man heut zu Tage Riesen Audio/Video/Licht Netzwerke baut, aber die Motoren kannst Du nicht vom FOH aus fahren. Ein Motor oben (oder 2), einer unten zum Verspannen. Wege und Lastmesser, Remote am FOH. Gibt es alles und ist nicht sooo teuer..."


    Stattdessen werden Crews losgeschickt, in höchster Gefahr, um PA und Delays zu sichern. Was für ein "Pain in the Ass".

  • Im Vergleich zum Szenario, das falcocgn hier schildert, ist ein Festival aber um einiges komplizierter:
    - Es gibt keine Schutzräume (wie hier ein Stadion).
    - Es gibt kein Nahrverkehrsnetz (Bahnhöfe bzw. Haltestellen bieten zusätzliche Kapazitäten als Schutzräume)
    - Es gibt kein Verkehrsnetz - vor allem keines, das einer großen Menge gleichzeitig An- und Abreisender Personen gewachsen wäre
    - Es gibt kein Rohrleitungs- und Kabelnetz sowie Straßenlaternen und Gebäude die Blitze und die Ströme zuverlässig ableiten


    Darüber hinaus besteht ein Festivalgelände ja nicht nur aus der beschallten Fläche vor den Bühnen (die aber natürlich die größte Personendichte aufweist), sondern auch aus Lauf- und Verkehrswegen, dem Campingplatz, Wirtschaftswegen und -flächen, Unterhaltungs- und Fressmeile, Sanitärbereichen, etc.
    Ein allumfassender Schutz bei Blitzschlag ist damit um ein Vielfaches aufwendiger, wenn nicht sogar mit vertretbaren Maßnahmen ausgeschlossen.


    Zitat von "ThoSchu"

    Delaytürme alle 40m (Hilft auch den Tontechnikern), große Bühnen, Masten... Alles geerdet. Bodenabdeckung leitend (Stahl oder Alu).
    Für 90.000 Besucher (4 pro m2) sind das 22.500m2 oder 100x225 Meter.


    Wenn man Verkehrswege und die restlichen schutzbedürftigen Flächen hinzurechnet (ohne Campingplatz) kommt man bestimmt auf das drei- bis fünffache dieser Fläche. Davon abgesehen ist blanker Stahl oder blankes Alu zu rutschig um bei Regen und Schlamm als direkte Bodenschicht zu dienen. Man müsste also noch die komplette Fläche mit Kunstrasen o. a. Dingen abdecken.


    Alle bisher hier vorgeschlagenen Maßnahmen kosten entweder horrende Summen oder haben eine so lange Vorlaufzeit, dass bei der kleinsten Wolke am Himmel schon der Notfallplan anlaufen müsste. Selbst wenn man nur die Kernbereiche sichert wird das ziemlich teuer und aufwendig und bietet nur nur einen eingeschränkten Schutz.
    Die seit zwei Wochen in Deutschland herrschende Wetterlage bietet eindeutig Grund zur Sorge bei solchen Veranstaltungen, im Allgemeinen sollte man die Gefahr durch Gewitter allerdings nicht überbewerten. Man ist eben nicht vor allen Eventualitäten sicher - allgemeines Lebensrisiko sozusagen. Da wird es wahrscheinlich besser sein alle paar Jahre mal eine Veranstaltung abzusagen (am besten mit Entschädigung) als für den Sonderfall gewappnet zu sein.

  • Sicher hatten wir bei ACDC die beschriebenen Vorteile. Generell geht es jedoch darum, rechtzeitig eine Entscheidung zu treffen, sprich vernünftig beobachten, rechtzeitig bewerten und eine Entscheidung treffen.


    Das Publikum muss die Chance haben, sich zu schützen, auch auf dem Feld. Dazu gibt es klare Empfehlungen. Gerne wird auch immer der Schutz der Kollegen vergessen. Die Gefahr eines Überschlags bei Einschlag ist vorhanden und hat letztes Jahr zu den verletzten Kollegen geführt.

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  • Zitat von "falcocgn"

    ... Gerne wird auch immer der Schutz der Kollegen vergessen. Die Gefahr eines Überschlags bei Einschlag ist vorhanden und hat letztes Jahr zu den verletzten Kollegen geführt.


    auf der bühne?

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang


  • Das ist ein wichtiger Punkt.


    Ich finde, diese Einzelheiten (eventuell schon vorhandene Schutzräume, Verkehrsnetze etc.) sollten bei der Auswahl eines Festivalgeländes eine größere Rolle spielen als bisher.


    Und den Campingplatz sollte man auch zwingend zur Festivalfläche zurechnen, mit allen Konsequenzen für Schutz- und Evakuierungskonzepte. Warum soll die Verantwortung am Festivalzaun enden, wenn Zeltplätze mit verkauft und organisiert werden? Evakuierung in die Zelte ist für mich bei Gewitter oder Starkregen ein No Go. Es gibt dort keinen Schutz und relativ früh auch teilweise keine Zelte mehr.

  • Zitat von "Jeremy"

    Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Experten für Risikoabschätzungen bei den Versicherungen sitzen. Vor diesem Hintergrund könnte ich mir gut vorstellen, dass eine Veranstaltung nur dann genehmigt wird, wenn der Nachweis erfolgt, dass der Versicherung(!) ein geeignetes Sicherheitskonzept vorgelegt wurde und dass das von dieser akzeptiert wurde. Für die dafür abzudrückende Prämie bekommt der Veranstalter dann auch einen Aufpasser der Versicherung zur Seite gestellt ...


    Mit dieser Idee habe ich 2010 mal das "Roundtable Veranstaltungsversicherung" veranstaltet (http://www.paforum.de/phpBB/viewtopic.php?f=3&t=81042), da waren auch einige Leute aus der Versicherungswirtschaft dabei. Deren klare Aussage: Wir müssen froh sein, überhaupt noch versichert zu werden.

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • Zitat von "wora"

    vor allem bieten kleine zelte keinen schutz gegen blitzeinschläge, weil die allermeisten kein stahlgestänge mehr haben sondern glasfaserstäbe...


    Wenn ich an das Zelt denke, dass wir damals hatten (so vor etwa 30 Jahren). Das hatte zwar Stahlgestänge, aber die Stangen standen dann auf dem Kunststoff-Zeltboden, also nicht geerdet. Da wäre mir Fiberglas lieber gewesen.


    Ansonsten glaube ich, dass im Umfeld eines Festival-Geländes der Blitz nicht ausgerechnet in ein kleines Zelt einschlägt. Das Problem sind da eher die Schrittspannungen. Wenn das Zelt einen isolierenden Boden hat, ist das schon mal nicht ganz schlecht.

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • Zitat von "ADMIN"

    Deren klare Aussage: Wir müssen froh sein, überhaupt noch versichert zu werden.


    Naja, für viel Geld versichern Versicherungen alles, auch den Hintern von irgendwelchen Promis, den finanziellen Verlust eines Fußballvereins beim Abstieg oder den Fuß eines Fußballstars.
    Problematisch sehe ich die Kosten. Wir mussten vor Jahren mal für ein innerstädtisches Festival mit ähnlich vielen Gästen wie RaR einen Steinways Flügel mieten und an eine Open Air Bühne für einen Act bringen. Die Versicherungspolice für den einen Einsatztag für dieses eine Objekt war ähnlich hoch wie die Mietkosten. Haben die Kosten weitergereicht, Kunde hats auch gezahlt, sein Starkünstler hats ja gefordert, aber fortan gabs Beschwerden über die Kosten sodass die Hauptbühne nun zum ersten mal jemand neues übernimmt


    Klar gibts Veranstalterhaftplichten, aber was die jetzt schon alles ausschließen und trotzdem kosten...
    Will man für so ein Festival, wo Millionen umgesetzt werden, alles erdenkliche versichern, wird man wohl schnell einen hohen 6-stelligen bis 7-stelligen Betrag an die Versicherung zahlen...
    Dann gibts halt weniger Festivals.

  • Insgesamt: Wir sind hier in einem Spannungsfeld zwischen Immissionsschutz und Personenschutz.


    Aus Gründen des Immissionsschutzes macht man solche Festivals möglichst weit draußen, um wenig Nachbarn zu haben, die man mit Lärm stören könnte. Das ist erst mal vernünftig.


    Da "draußen" haben wir jedoch erst mal wenig Infrastruktur. Und das ist bezüglich des Personenschutzes problematisch.

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • ...und ich bleibe dabei; das Auto am Zelt ist immernoch die beste Lösung...
    Bei ensprechender langer Vorwarnung und gegebenenfalls eigener Beobachtung des Wetters kann jeder für sich selbst entscheiden, ob er lieber den Rückzug auf den Zeltplatz antritt.
    Mag sein das einige ohne Fahrzeug da sind; aber ich denke, sowas regelt sich größtenteils untereinander.


    Zu versuchen; so eine Menge Menschen irgendwohin auf Ansage gezielt zu evakuieren, ist meiner Meinung nach ohnehin illusorisch.
    Bei ersten Ansätzen einer Panik erst recht.
    Egal zu welchem Anlass.


    Eine andere Sache ist; das ein gewisses Risiko IMMER bleibt.
    Und dessen sollte sich jeder klar sein, der an soeiner Veranstaltung teilnimmt.
    Sei es das Wetter, Alkohol, Unfall, Unvermögen, Panik, (...), Terror oder sonstige Gestörte.


    Die wahren Tragödien haben sich bekannterweise in diesen Tagen aber wo ganz anders abgespielt.
    Teilweise im trügerischen Schutz des eigenen Zuhauses....

    Never stop a running System

  • hier hat doch niemand behauptet, dass die lösung "ins auto sitzen" bei gewitter irgendwie schlecht wäre. oder? :roll:
    es geht ja eigentlich geht nur darum, wie man das rechtzeitig bewerkstelligen könnte. und was man mit den leuten macht, die keinen platz in irgendeinem auto finden (z.b. die, die sich vorher im übereifer noch ein lustiges schlammbad gegönnt haben)


    wo ich aber wirklich wiedersprechen möchte ist folgendes:
    du nimmst an, dass sich jeder selbst informieren kann und gegebenenfalls selbst passend reagiert.
    doch damit überschätzt du die fähigkeiten einer grossen menschenmenge definitiv.

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Sehe ich differenzierter.
    Einerseits ist es richtig, das es Backpacker in dieser Richtung schwerer haben.
    Andererseits bekommt man sturzbetrunkene Schlammbader nicht für Geld & gute Worte irgendwohin kanalisiert.


    Und ich denke schon; das sich z.B bei aufziehenden Wolken oder fernen Blitzen Schlüsse ziehen lassen.
    Ebenso sprechen sich viele Sachen schnell rum.
    Netz schien's auch gegeben zu haben, siehe die vielen Posts in allerlei Netzwerken.


    Eine Lösung für eine gescheite Vorwarnung ist das natürlich nicht.
    Aber gesunder Menschenverstand gehört schon mit zur ganzen Stategie.


    Wenn; dann sollte das über eigens dafür (jegliche Info's) vorgesehene LED-Wände geschehen.
    Dann sind gewisse Trends und Entwicklungen ersichtlich und man hat's quasi ständig vor Augen.
    Durchsagen hingegen gehen Links rein & Rechts wieder raus...


    Übrigens; ist das nicht ein alter Militärflugplatz?
    Sollte es da nicht die dafür typischen alten, halbeingegrabenen kleinen Hangars aus Wellblech geben, wie woanders.?

    Never stop a running System

  • eigene info-LED wände fürs wetter wird es sicherlich nicht geben, das ist ja ein erheblicher kostenfaktor.
    ich könnte mir aber vorstellen, das man auf die bestehenden screens, zumindest in den spielpausen zwischen den bands oder in bestimmten intervallen (z.b. zur vollen stunde) eine wetterradar-karte mit ergänzenden texten einspielt. das wär ja schonmal was. und wenn sich die wetterlage verschlechtert, kann man die zeitintervalle der anzeige auch verkürzen bzw. nur noch diese infos anzeigen.

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Also aus meinem bescheidenen Erfahrungsschatz und aus tiefster Überzeugung: irgendwelche Hinweise auf irgendwelchen Wänden helfen wenig - bei separaten, ausschließlich für Ansagen genutzten Wänden kann ich mir das noch vorstellen. Bei den vorhandenen hingegen schätze ich die Wirkung auf die Besucher im einstelligen Prozentbereich. Insbesondere, wenns noch lustig animierte Bilder mit Regenradar gibt. "Boah, geil, alles rot..."


    Klare Ansagen hingegen - Mann auf Bühne, Mikrofon an, Musik aus - sind da meiner Erfahrung nach deutlich wirkungsvoller. Womöglich sogar mit einer konsensfähig populären Person - man unterschätze nie die Macht eines Stars auf seine Fans.


    Sowas muss aber zwingend frühzeitig passieren - und da ist man in Mendig natürlich bei einem Zeitfenster, welches sich gewaschen hat. Und das wurde von Tag zu Tag und mit steigendem Mockepegel nicht besser. Aber was solls - wenn ich dadurch größeren Schaden verhindern kann, dann gibt es kein Argument dagegen.


    Bleibt die Frage: was mach ich mit 90.000 matschbesudelten Festivalfeierern, wenn ich sie von vor der Bühne weg habe? Ins Auto? Womöglich. Ins Zelt? Eher schlecht! Irgendwo unterstellen? Ja - aber wo? Bleibt am Ende nur die Option, eine entsprechende Location zu suchen, die kurze Wege, eine ausreichend Schutz bietende Infrastruktur und eine Option auf ein funktionierendes Crowdmanagement bietet. Das kostet Zeit und Geld - beides will kein Veranstalter einfach mal auf gut Glück investieren (und nebenbei fallen gefühlte 8 von 10 Locations erst mal einfach grundsätzlich weg). Oder man investiert in die Location und schafft solche Optionen und Infrastruktur. Siehe Faktor Zeit & Geld.


    Es bleibt also schwierig...

    Kein Applaus für Scheiße!