Messunsicherheit Nachhallzeit

  • kleines Statement:

    Die Nachhallzeit war schon immer ein beschissener Summationsparameter sowohl für die Beschreibung von realen akustischen Umgebungen als auch für das Verständnis und die Parametrierung digitaler Nachbildungen. Das konnte man auch schon 1975 wissen, wenn man die Erstausgabe von Don Davis's 'Sound Engineering' gelesen, verstanden und sich mal mit den verschiedenen Berechnungsoptionen auseinander gesetzt hatte. Mir wurde dieses Glück 1982 zuteil.

    Deshalb wundert mich dieses "Problem" nicht, sondern bestätigt nur, was ich schon sehr lange denke.


    Ich schätze den Wert dieser Zeit für die Beurteilung von akustischen Umgebungen als viel geringer ein als mancher glauben mag und mir ist daher die Meßungenauigkeit komplett humpe.


    EDIT


    Kleine Ergänzung:

    Zitat von Markus Zehner

    Insbesondere sind ungefilterte Breitband-ETCs gänzlich ungeeignet, um das Refelexionsverhalten in einem Raum zu beurteilen.

    Das konnte man auch schon 1975 wissen ...;)

  • na ja, DIE EINE nachhallzeit gibt es nicht, das sollte jedem klar sein, der sich mit der materie ernsthaft beschäftigt.

    man kann mit solchen messungen aber durchaus gut abschätzen, wie viel absorptionsfläche in etwa benötigt wird, um auf ein gewünschtes ergebnis zu kommen. wie diese fläche dann ausfallen soll und wo das material angebracht werden muss, entscheidet dann der akustiker (im idealfall!). und auch da gibt es, wie in allen berufen, solche und solche... ;)

    aber ohne messungen können die akustiker auch nur raten.


    ich finde die beiträge jedenfalls sehr interessant!

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • Die Nachhallzeit war schon immer ein beschissener Summationsparameter sowohl für die Beschreibung von realen akustischen Umgebungen als auch für das Verständnis und die Parametrierung digitaler Nachbildungen.

    Die Nachhallzeit verhält sich da genau wie alle anderen Einzahlparameter, die einen höchst frequenzabhängigen Parameter auf einen einzigen Wert komprimieren. Die Verkürzung auf einen Zahlenwert ist recht praktisch und einfach zu merken, für praktische Folgerungen ist sie jedoch meistens zu ungenau. Ähnlich verhält es sich mit der Abstrahlbreite einer Box (sowas wie 60°x40°). Jeder weiß, dass die Box im Tieftonbereich fast kugelförmig abstrahlt, im Tiefmitteltonbereich etwas enger, und nur innerhalb weniger Oktaven im Bereich mehrerer Kilohertz im Idealfall nahe dem angegebenen Wert. Mit der Nachhallzeit ist es ähnlich, sie ist meistens im Tieftonbereich lang und mit zunehmender Frequenz immer kürzer. Besonders die Fälle, die von diesem Standardverlaiuf abweichen, lassen sich mit einem Einzahlkennwert unmöglich beschreiben. Hier wie da muss man für präzise Voraussagen schon den Frequenzplot insgesamt anschauen.

    Einmal editiert, zuletzt von patec () aus folgendem Grund: Edit Rechtschreibung

  • guma


    Deine Aussage hat zwar nichts mit dem Thema zu tun, aber danke trotzdem, dass Du uns an Deinen Gedankengängen teilhaben lässt.


    Nach Deiner Begründung misst Du dann sicher auch keine Schalldruckpegel, weil diese nur bedingt einen Zusammenhang mit der Lautheit oder mit dem Schädigungspotential des Gehörs haben. Auch die Messung von Frequenzgängen erübrigt sich dann wohl. Benutzt Du wenigstens gelegentlich ein Thermometer?

    als auch für das Verständnis und die Parametrierung digitaler Nachbildungen.

    Deshalb ist es ja auch völlig unüblich, dass man bei digitalen Nachbildungen einen Parameter im Sinne von "Reverb Time" findet.


    Es gab übrigens schon vor 1975 Leute, welche in der Lage waren, meinen Namen korrekt zu schreiben.

  • nun, vielleicht gibt es aufgrund von Markus´ nachforschungen ja irgendwann mal bessere messmethoden, bzw. besser beschriebene vorgehensweisen, wie man die werte sinnvoll ermittelt. und vielleicht ist es danach tatsächlich etwas einfacher, die gemessenen werte in die realität zu übersetzen.

    ich selbst bin da kein fachmann, aber durch meine zusammanarbeit mir akustikern in verschiedenen installationen der letzten jahrzehnte weiß ich, dass die sich für einen einzelnen RT60 wert als gesamtergebnis nie interessiert haben. die "guten" wollen immer die ergebnisse von mehreren messpunkten und dann auch frequenzabhängig. wer zur ermittlung von akustikbaustoffen mit nur einem wert arbeitet, der hat wohl eher ein grundlegendes verständnisproblem... oder der job ist zu schlecht bezahlt ;)


    und für den beschaller spielen diese werte in der regel ja auch keine rolle, weil er sowieso mit der aksutik leben muss, die die halle hat.

    mit kollegialen Grüßen
    Wolfgang

  • und für den beschaller spielen diese werte in der regel ja auch keine rolle, weil er sowieso mit der aksutik leben muss, die die halle hat.

    Ich hab mal als Bandmischer die Anlage des (sichtbar erleichterten) Beschallers mit den Worten "6 Sekunden Nachhallzeit, viel Spaß" entgegen genommen. Dem hat man angesehen, daß er froh war, in der Maschinenhalle nicht mischen zu müssen.

  • Ich sag's mal, in der Hoffnung besser verstanden zu werden so:

    Selbst wenn Du Nachhallzeiten an unterschiedlichen Orten und aufgegliedert in unterschiedlichen Frequenzbereichen mißt, erhältst Du aus der Zeit keine vernünftige Aussage über die Struktur und die ist es letztendlich, die sowohl die Sprachversändlichkeit als auch die Klangeigenschaften eines Raumes bestimmen. In frühen Formeln zur Berechnung von STI hatte RT60 ein zu großes Gewicht.

    Heute wissen wir, dass fehlende Diffusität eine größere Rolle spielt als die Zeit und das entspricht auch unserer praktischen Erfahrung. Es ist eben so, das beispielweise Cluster innerhab einer kurzen Hallzeit Sprache aber auch eine Musikquelle bis zur Unkenntlichkeit verstümmeln können und ein längerer aber diffuser Nachhall mit vergleichbarem Pegel die gleiche Quelle recht unbeschadet lassen kann.

    Mich fängt das dann wieder an zu interessieren, wenn das, was gemessen wird, nicht mehr "Nachhallzeit" sondern Hallstrukturanalyse heißt, da kann mich Markus gerne weiter beschimpfen.

    Zu "Akustiker" fällt mir ein, dass es für mich davon zwei Sorten gibt:

    Architekten, die mit eigener Kenntnis und in der Kommunikation mit Leuten, die aus der Elektroakustik kommen, was planen und simulieren, was funktioniert und eben schon in der Konstruktion an sich einen "guten", diffusen, wohlklingenden und nicht verstümmelnden Nachhall erzeugt. Das ist gar nicht mal sooo schwer, aber selten.

    "Akustikexperten", die mit Meßmikrofonen herumlaufen, Nachhallzeiten messen und einen per se versauten Raum mit allerhand "Reflektoren" und "Akustikplatten" verschlimmbessern, hernach ein paar sehr teure Lautsprecher dort hinein hängen, deren Direktivität auch nicht wirklich mit dem Problem korrespondiert und das nacher gut sein muß, weil es teuer war. Das ist leider deutscher Standard.

  • Ich hab mal als Bandmischer die Anlage des (sichtbar erleichterten) Beschallers mit den Worten "6 Sekunden Nachhallzeit, viel Spaß" entgegen genommen. Dem hat man angesehen, daß er froh war, in der Maschinenhalle nicht mischen zu müssen.

    ... und ich durfte mal als Wessi zu DDR Zeiten einen Professor aus Dresden hören, der in einer Maschinenhalle mit vermutlich ähnlicher Nachhallzeit, sehr viel Grips, einigen Lautsprechern, sehr spärlichem Messequipment (nicht für Nachhallzeiten!) und ohne "Akustikplatten" dafür sorgte, dass die Genossen verstanden, was gesagt wurde ...

  • einspruch:

    deutscher standard ist, dass sich der architekt ausschliesslich um die optik "seines" raumes kümmert.

    die akustik wird in der regel komplett ignoriert.

    Bei uns habe ich beobachtet, dass die Ära der schönen Räume mit mieserabler Akustik zu Ende zu gehen scheint. Ich habe erfreulicherweise in letzter Zeit vermehrt neue Räume gesehen, wo man offensichtlich in akustische Massnahmen investiert hat.


    Btw. hat mir mal ein Techniker der alten Schule erzählt, dass Räume mit Dimensionen im goldenen Schnitt akustisch vorteilhaft sein sollen. Ist da etwas dran?

    Der Ton macht die Musik.

  • Selbst wenn Du Nachhallzeiten an unterschiedlichen Orten und aufgegliedert in unterschiedlichen Frequenzbereichen mißt, erhältst Du aus der Zeit keine vernünftige Aussage über die Struktur und die ist es letztendlich, die sowohl die Sprachversändlichkeit als auch die Klangeigenschaften eines Raumes bestimmen. In frühen Formeln zur Berechnung von STI hatte RT60 ein zu großes Gewicht.

    Deshalb misst man heute für den STI auch im Wesentlichen die Modulationstiefe eines über den Raum abgestrahlten Signals in verschiedenen Frequenzbereichen, was teilweise mit Nachhallzeiten korreliert, aber doch auch durch die Struktur des Nachhalls beeinflusst wird.


    Letztlich kranken aber alle derzeit verwendeten Verfahren auch daran, dass nur ein Monosignal mit einem Messmikrofon aufgenommen wird, während der Höreindruck stark von der räumlichen Verteilung der Reflexionen geprägt wird. Das Gehör vermag durchaus Direktschall und Hall aus verschiedenen Richtungen in gewissen Grenzen zu trennen, was zu einem besseren Hörergebnis führen kann, als die monaurale Messung vermuten lässt. Messverfahren, die dieses angemessen berücksichtigen, sind äußerst kompliziert in der Signalauswertung, erfordern besonderes Messequipment (Kunstkopf) und sind weit davon entfernt, irgendwo als Standard etabliert zu werden.

    Architekten, die mit eigener Kenntnis und in der Kommunikation mit Leuten, die aus der Elektroakustik kommen, was planen und simulieren, was funktioniert und eben schon in der Konstruktion an sich einen "guten", diffusen, wohlklingenden und nicht verstümmelnden Nachhall erzeugt. Das ist gar nicht mal sooo schwer, aber selten.

    "Akustikexperten", die mit Meßmikrofonen herumlaufen, Nachhallzeiten messen und einen per se versauten Raum mit allerhand "Reflektoren" und "Akustikplatten" verschlimmbessern, hernach ein paar sehr teure Lautsprecher dort hinein hängen, deren Direktivität auch nicht wirklich mit dem Problem korrespondiert und das nacher gut sein muß, weil es teuer war. Das ist leider deutscher Standard.

    Selbstverständlich ordnen sich alle Akustiker selbst in der ersten Gruppe ein... Das mit dem "nicht mal so schwer" stelle ich jetzt einmal in Frage, das hängt ganz vom Problem, also dem vorgefundenen Raum, ab.

  • Mich fängt das dann wieder an zu interessieren, wenn das, was gemessen wird, nicht mehr "Nachhallzeit" sondern Hallstrukturanalyse heißt, da kann mich Markus gerne weiter beschimpfen.

    Ich habe Dich doch nicht beschimpft. Ich bemängle lediglich, dass Du einen Strohmann aufstellst und dann genüsslich abfackelst, was Du ja auch hier wieder versuchst.


    Ich habe einen Ringversuch durchgeführt, bei dem es darum ging, Unsicherheiten in der Nachhallzeit-Messung zu untersuchen. An keiner Stelle habe ich eine Aussage gemacht, dass die Nachhallzeit alleine geeignet ist, die akustischen Eigenschaften eines Raums zu beschreiben. Darum geht es in diesem Artikel nicht mal am Rande.


    Mir fallen spontan auch recht wenige mir bekannte Akustiker ein, die sich bei der akustischen Beurteilung und Optimierung eines Raums ausschliesslich auf die Nachhallzeit stützen. Offensichtlich hast Du da andere Erfahrungen gemacht, was ich auch gar nicht in Zweifel ziehen will. Dies mag dann zwar Deine plakativ zur Schau gestellten Animositäten erklären. Dennoch sind Deine Pauschalisierungen weder zutreffend noch angebracht.

  • Btw. hat mir mal ein Techniker der alten Schule erzählt, dass Räume mit Dimensionen im goldenen Schnitt akustisch vorteilhaft sein sollen. Ist da etwas dran?

    Eine Eigenschaft des goldenen Schnittes ist ja, dass er sehr schlecht durch einen Bruch approximiert werden kann. Demzufolge haben es stehende Wellen einer bestimmten Frequenz natürlich schwer in beiden Raumdimensionen aufzutreten.

  • Messverfahren, die dieses angemessen berücksichtigen, sind äußerst kompliziert in der Signalauswertung, erfordern besonderes Messequipment (Kunstkopf) und sind weit davon entfernt, irgendwo als Standard etabliert zu werden.

    Binaurale Messverfahren und Messgrössen sind schon seit Jahrzehnten etabliert und standardisiert (z.B. ISO 3382-1). Neuere, komlexere und sehr viel weiter gehende Verfahren sind zwar noch nicht standardisiert, werden aber in der Praxis seit vielen Jahren regelmässig eingesetzt.


    Die Messverfahren sind nicht kompliziert. Sie erfordern allerdings einen _erheblich_ grösseren Zeitaufwand, insbesondere was das Post-Pozessing und die Analyse betrifft, was angesichts der enormen zusätzlichen Datenmenge ja auch nicht weiter erstaunlich ist. Dass diese Verfahren deshalb naturgemäss nicht in jedem Projekt angewandt werden (Stichwort: Budget) versteht sich dann von selbst. Es ist aber auch unabhängig vom Budget in vielen Fällen gar nicht notwendig oder sinnvoll solche Messverfahren einzusetzen. Wenn man sie aber braucht, dann gibt es sie.


    Für binaurale Messungen und die Richtungsbestimmung von Reflexionen sind auch nicht zwingend Kunstköpfe erforderlich. Um nur ein Beispiel zu nennen: man kann die Impulsantworten auch nachträglich mit HRTFs falten.

  • Für binaurale Messungen und die Richtungsbestimmung von Reflexionen sind auch nicht zwingend Kunstköpfe erforderlich. Um nur ein Beispiel zu nennen: man kann die Impulsantworten auch nachträglich mit HRTFs falten.

    Wenn ich eine Impulsantwort mit einem Kugelmikrofon aufnehme, dann ist doch jegliche Information über die Richtung des einfallenden Schalls gelöscht. Wenn ich das Ganze jetzt mit einer HRTF falte, kann ich doch die verlorene Richtungsinformation nicht wiederherstellen, sondern erzeuge eine neue, die mit der ursprünglichen Schallverteilung im Raum nichts zu tun hat. Wie soll das funktionieren, binaural zu messen ohne Kunstkopf (oder entsprechendes Mikrofonarray, wie die Jecklin-Scheibe)?

  • Wenn ich eine Impulsantwort mit einem Kugelmikrofon aufnehme, dann ist doch jegliche Information über die Richtung des einfallenden Schalls gelöscht.

    Ich kann mich nicht entsinnen, dass ich geschrieben habe, man solle eine Mono-IR falten. Natürlich ist für eine 2D- oder 3D-Richtungsbestimmung auch eine 2D/3D-Impulsantwort erforderlich.