Lautstärkebeschränkung auf 95 dB per Gericht anfechten?

  • Hallo Leute,


    es wurde ja schon öfters über Lautstärken und so diskutiert, ich möchte hier jedoch einen besonderen Fall besprechen, der mir seit Jahren einfach gegen den Strich geht.
    Bei uns im Landkreis Weilheim-Schongau wird eine hausgemachte Verordnung durchgezogen, die in Stichpunkten wie folgt aussieht:


    - 95 dB A bewertet dürfen im Stundenmittel AM LAUTESTEN zugänglichen Punkt für das Publikum nicht überschritten werden
    - Messverfahren ähnlich wie bei der europäischen 99 dB Variante aber eben bezogen auf eine Stunde Messzeitraum.
    - das ganze gilt nur für elektrisch verstärkte Musik
    - das soll die Besucher schützen
    - Zuwiderhandlung wird drakonisch bestraft. Veranstalter zahlen immer wieder selbst bei Besucherzahlen von nur 30 Personen 4-stellige Strafen. "Mehrfachtäter" werden auch bei Überschreitung um nur 1 dB gnadenlos bestraft.


    Die ganze Normierung kam aus meiner Sicht aus völlig schwachsinnigen Überlegungen einer eingesetzten "Fachkommission" (z.B. Stadtträte, Gesundheitsbeauftrage des Arbeitsschutzes...) zustande.


    Ich behaupte:
    - eine Livebandveranstaltung in kleinen Clubs ist damit je nach Musikrichtung undurchführbar oder mit einem Aufwand, der nicht mehr bezahlt werden kann (z.B. Verglasung der Band)
    - Veranstalter reagieren bereits und veranstalten einfach nichts mehr --> Kultursterben


    Ich möchte:
    - Wissen, was Ihr davon haltet (vielleicht bin ja nur ich zu dumm, das alles als gut und recht zu sehen)
    - Wissen, ob man dagegen gerichtlich vorgehen kann und WIE GENAU, hier wären also durchaus Juristen gefragt (Jurist also Hobbytontechniker oder Tontechniker als Hobbyjurist)?


    Meine Gedankenansätze:
    - Gesetze müssen zumutbar und angemessen sein, ich behaupte, daß ist diese Regelung nicht
    - Die Regelung verstößt gegen die Gleichberechtigung, da es nur für elektrisch verstärkte Musik gilt und somit jede Blaskapelle fröhlich lauter spielen darf. Dadurch werden insbesondere Spieler von Instrumenten, die ausschließlich elektrisch verstärkt hörbar sind, gegenüber akustischen Spielern diskriminiert.
    - die Freiheitsrechte der Zuhörer werden eingeschränkt, da Ihnen das Hören der ("zu lauten") Livemusik verboten wird. Bitte daran denken, daß viele Musikrichtungen per Definition zu laut sind! Somit besteht keine freie Entscheidung mehr für den willigen Hörer.


    Das ganze ist sehr komplex, deswegen meine Stichpunktsprache, damit das mal alles übersichtlich bleibt.
    Viele Grüße
    Tobias Kammerer
    (für alte Forumshasen: "Dipl. dingsda oder so")

  • In Amerika gibt es bei jedem Konzert am Eingang 'Earplugs' und das Betreten ist dann auf eigene Gefahr. Finde ich sehr gut!


    Trotzdem muss man auch sagen, dass man mit der richtigen Anlage auch ein Konzert im Bereich 90-95db A fahren kann. Ich hätte das selber nie gedacht, aber der Sound war einfach super seidig weich in den Höhen, mit schönen drückenden Bässen.
    Vielleicht muss man aber auch anmerken, dass sowas nur bei einem leisen und disziplinierten Publikum geht.


    Ansonsten sind mir persönlich Lautstärkenbegrenzungen ziemlich egal. Ich als Mischer halte mich daran und wenn ein guter Sound auf Grund von irgendwelchen Begrenzungen nunmal nicht möglich ist, dann ist der Sound halt scheiße. Aber das ist dann ja nicht mein Problem, sondern das vom Veranstalter.


    Ich bleib da somit ganz cool...Lautstärkenbegrenzung ist nicht mein Job...

  • Hi,



    Zitat von "Max Heinlein"


    Vielleicht muss man aber auch anmerken, dass sowas nur bei einem leisen und disziplinierten Publikum geht.


    und leisen und disziplinierten Musikern.


    Zuletzt hatte ich Stress auf dem Wasen. Da blieb mir zeitweise nix uebrig als die Q als Gesangsanlage zu nutzen. Rest kam vom Monitor.


    95dbA im Stundenmittel ist doch gar nicht so leise, wenn man kurz vor der PA misst (bei kleinen Gigs ist das eh der am lautesten zu erwartende Punkt).




    ciao
    bemi

  • Hallo nochmal,


    vielleicht muß ich die Diskussion noch ein bißchen in die von mir gewünschte Richtungbringen. Deswegen ein paar Überlegungen:
    - ich finde 95 dB auch laut
    - mir geht es um Fälle, wie Hardcoreband oder Punkband spielt auf kleiner niedriger Bühne in kleiner Kneipe. Der Drummer drischt sein Lied und nun machen wir drumherum alles so laut, bis man es überhaupt noch hört. Da wird es mit 95 dB eigentlich unmöglich, mit den Europa 99dB geht es knapp.
    - Nun mag ich nicht einmal Hardcore, trotzdem gibt es diese Musik und diese Musiker haben meiner Meinung nach ein Ausübungsrecht. Die Musik würde übrigens auch "falsch" klingen, wenn der Drummer nicht drischt. Ich kenne zumindest keine CD-Produktion, auf der ein Heavydrummer mit 8d Stöcken vorsichtig seine HiHat tätschelt.
    - Auch nochmal zum Vergleich: Laßt im gleichen Raum eine Blaskapelle spielen, das kommt bei Hochzeiten durchaus einmal vor. Diese sprengen die 95 dB leicht. Hier wird aber keine Strafe verhängt.


    Viel Spaß beim Weitermitwirken
    Tobias Kammerer

  • Das Schlagzeug ist in diesem Fall ja aber gar kein elektrisch verstärktes Instrument und fällt nicht in die Verwaltungsvorschrift. Und in der Messung den Verursacher (elektrisch verstärkt oder nicht) herauszufinden dürfte schwer werden.


    Natürlich kann man gegen jede Verordnung klagen vor dem Verwaltungsgericht. Aber oft hilft auch erstmal Wiederspruch bei der Verordnungsbehörde einzulegen. Diese muss dann die Verordnung nochmals überprüfen. (Das ist keine Rechtsberatung, da ich nichtmal Hobbyjurist bin). Es ist auch die Frage ob das übergeordnete Recht nicht die Verordnung aufhebt. Es heisst ja auch immer Bundesrecht schlägt Landesrecht.


    Edit sagt: "Schneller Schreiben sonst ist da ein Eintrag mit der selben Meinung vor einem da! Dabei aber die Rechtschreibung bitte beachten!"

  • Hallo Bemi,


    guter Beitrag, die haben aber Ihre eigene Norm und richten sich nicht nach DIN (muß man ja auch nicht). Es wird also am lautesten Punkt gemessen. Es wird nicht die elektronische Musik gemessen, sondern allein die Tatsache, daß eine elektronische Musik da ist, ist Auslöser für die Messung und für die Auflage. In die Messung geht auch der Publikumslärm ein. Ich hatte schon Fälle, in denen nach einer Stunde Pause 92 dB auf dem Messgerät standen (NUR vom Publiklumslärm). Es hilft der Band also auch nix, mal 15 minuten Pause zu machen, wenn nicht gleich der Saal mit geräumt wird.
    Viele Grüße
    Tobias Kammerer

  • Ideen (auch alles keine Rechtsberatung):
    Besucher zu Mitveranstaltern machen (Verein gründen mit Mitgliedsbeitrag 10 Euro oder so, Veranstalter ist dann der Verein, jeder der das/die Konzerte besuchen will muss Vereinsmitglied werden
    ,
    ansonsten (dürfte aber nur ev. gegen schadensersatz-Klagen helfen, nicht gegen ne Verordnung): Genehmigung zur Köperverletzutzung unterschreiben lassen (wie beim Piercen)


    Knackpunkt in beiden Fällen vermutlich: Funktioniert vermutlich nur bei Volljährigen

  • Wenn du das Thema Recht ansprichst sollte dir auch bewußt sein wer am längeren Hebel sitzt, auf dieser Basis wirst du also sicherlich nichts bewegen. Bewegen wirst du allerhöchstens etwas wenn du genügend Personen an den Start bekommst die für Ihre Sache einstehen und entsprechend beharrlich dafür Protestieren, immer wieder zuständige anschreiben usw., aber ehrlich gesagt vermute ich wird das ein Kampf gegen Windmühlen weil es schwer sein wird einem Schreibtischtäter Punkrock oder Hardcore Konzerte als einen wichtigen beitrag zur Kultur zu verkaufen.

    In meinem Lexikon fehlt das Wort unmöglich!


    ASR Computer & PA Technik
    André Ruhnau
    Rosenstr.6
    78598 Königsheim

  • Zitat von "Tobias Kammerer"

    Die ganze Normierung kam aus meiner Sicht aus völlig schwachsinnigen Überlegungen einer eingesetzten "Fachkommission" (z.B. Stadtträte, Gesundheitsbeauftrage des Arbeitsschutzes...) zustande.


    Das, was Du da schreibst, ist ziemlich exakt das, das auch in DIN 15905-5 drin steht - und die stammt von Leuten, die wissen, von was sie reden.



    Zitat von "Tobias Kammerer"

    - Messverfahren ähnlich wie bei der europäischen 99 dB Variante aber eben bezogen auf eine Stunde Messzeitraum.


    Es gibt da auf europäischer Ebene keine Regelung. Meinst Du vielleicht DIN 15905-5?

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • Meine Meinung:


    Das Problem liegt aus meiner Sicht darin, dass es immer noch keine richtig verbindliche Regelung gibt auf die sich Musiker und Veranstalter verlassen können und die von den Behörden einfach umgesetzt werden kann. So legt jeder Behörden-Fuzzi mal eben selbst irgendeine aufgeschnappte oder erfundene Zahl fest, ohne auf Messmethode oder Gewichtung zu achten und misst mit einem 19 € Konrad Schallpegelmessgerät mal hier in und da in nem Club.



    Ich sehe keine realisitischen Möglichkeiten, Messungen und belastbare Protokollierung bezahlbar durchzuführen. Auftritte von kleinen Bands in kleinen Clubs werfen einfach nicht das Geld für entsprechende Messungen, Personal und Equipment ab. Natürlich ist das Ansatz mit Dosis zu arbeiten absolut richtig, nur sehe ich für den realen Praxisfall aktuell kaum Chancen in der Umsetzung.

  • Hallo Admin,


    also ja, das ist natürlich ziemlich genau das, was in DIN 15905-5 drinsteht, aber eben mit 95 statt 99 dB L(A)eq. Und da denke ich ist einfach das Ende der Fahnenstange erreicht, worin ich eine gewisse Willkür sehe. Auch die DIN 15905-5 halte ich unter schlechten Bedingungen schwer einhaltbar. Bitte denkt nicht an Großevents, hier geht das alles sehr einfach sowohl akustisch, als auch finanziell.
    UND: es gibt die ganze DIN 15905-5 als EU Norm Vorschlag, der aber noch nicht beschlossen und umgesetzt ist. Also somit war das ursprünglich nicht ganz korrekt von mir formuliert.
    Und mal am Rande bemerkt: Grundsätzlich finde ich eine Regulierung sinnvoll, da ich auch schon Konzerten mit 115 dB L(A)eq am Mischplatz!! beiwohnen durfte und das ist aus meiner Sicht schlicht geisteskrank.
    Viele Grüße
    Tobias Kammerer

  • Zitat von "Tobias Kammerer"

    UND: es gibt die ganze DIN 15905-5 als EU Norm Vorschlag, der aber noch nicht beschlossen und umgesetzt ist.


    Darf man fragen, woher Du diese Info hast und wie belastbar sie ist?


    Der zuständige Normungsausschuss weiß von nichts, das DIN ist sich sicher, dass es weder ein neues nationales noch ein europäisches Normungsvorhaben dazu gibt, auch nicht über die DKE, zumal das in anderen europäischen Ländern als Gesetz läuft und nicht als Norm, ein europäisches Normungsvorhaben wäre da auch ein wenig zweckfrei...

    Bitte keine fachlichen Fragen per PM - Inhaber von dBmess

  • Also,


    jetzt mal in Worten, die sicher nicht genau fachrichtig sind, da mich eigentlich im Detail diese Verfahren nicht so interessieren. Ich habe da nochmal nachgehakt und es müßte so sein, das es diesen EU Vorschlag schon länger gibt und die Umsetzung aber Ländersache ist. In Deutschland ist es mit der Din Norm umgesetzt und in manchen Ländern nicht.
    ABER: Gefährlich erfragtes Halbwissen. Immerhin aber von Herstellern von Meßgeräten zur Einhaltung der Normen.
    Viele Grüße
    Tobias Kammerer

  • Es gibt eine EU Richtlinie zum Arbeitsschutz, die ist mit 85 db


    Die Norm 15905-5 selbst ist kein Gesetz!!!!
    Die Unterschiede sollten nicht verwechselt werden.


    Und:
    Behörden können immer noch aus diversen Gründen ganz Andere Werte vorschreiben per Bescheid.


    Rein Theoretisch können sie auch auf 85db beschränken.
    Ob das im Sinn der Sache ist, steht auf einem Anderem Blatt


    Achja, edith sagt:
    @ Tobias Kammerer:


    Da würd ich mich mit dem Wissenstand eher an den Admin halten, der ist zu dem Thema nämlich auch sehr bewandert, anstatt gefährliches Halbwissen zu verbreiten.


    Auch er stellt zB Software für die Messung zu 15905-5 her und ist zu dem Thema, sagen wir mal, sehr engagiert

    Amp und Boxen Brett _ Die Vuvuzela des Forums


    Ganz großer Fan des " Themen als gelesen markieren " Buttons

  • ...aber um noch einmal auf Deine Frage zurückzukommen nach Hardrock in Miniraum:


    Es muss auch mal einleuchten, dass nicht jeder Raum für jede Art von Musik geeignet ist. Manche Konzerte sind dann halt nicht durchführbar, ohne die Gesundheit von Musikern, Publikum und Personal zu gefährden.


    Es gab auch schon Klassikkonzerte auf zu kleinen Bühnen, wonach die Musiker sich erst einmal krank gemeldet haben mit Tinnitus - es geht eben nicht alles überall. Da ist es völlig egal, ob gerade nicht mehr Budget da ist. Den Grundsatz, die Gesundheit zu schützen, halte ich daher nicht für falsch, auch wenn sich nun mancher Miniveranstalter eingeschränkt fühlt. Das hat für mich nichts mit Kultursterben zu tun.


    Ein platter Vergleich für eine größere Angriffsfläche:
    Ich fahre ja auch nicht mit 200 durch die Stadt, weil mein Auto das hergibt und es vielleicht ohne Schäden abgehen kann auf langen Geraden.


    Et is nit allet Jold, watt Krach macht.


    Gruß,


    der Hami

  • Zitat von "Tobias Kammerer"

    Bei uns im Landkreis Weilheim-Schongau wird eine hausgemachte Verordnung durchgezogen...


    Das ganze ist ja eher eine politische Angelegenheit. Vielleicht sind eher in dieser Richtung Lösungsansätze zu suchen:
    Also: Kontakte mit Kreistagsmitglieder möglichst von der Regierungspartei, besser noch von allen Parteien aktivieren und für das Thema sensibilisieren.
    Dann eine Auswahl von wichtigen Gastronomen/Veranstaltern/lokaler Prominez etc. organisieren und sich auf ein gemeinsame Vorgehensweise einigen.
    Sinnvollen Vorschlag erarbeiten, bei denen auch die vermeintlich Schutzbedürftigen nicht vernachlässigt werden.
    Das könnte z.B. so aussehen, daß man auf Antrag auch die 99dB genehmigt bekommt.
    So bleibt die Entscheidungsgewalt, wo es lauter sein darf immer noch bei der zuständigen Ordnungsbehörde.


    Begleitend ein paar PR-Maßnahmen ergreifen (z.B. Artikel über das Kultursterben, oder "kommt nach dem Rauchverbot jetzt das Musikverbot" etc. in der lokalen Presse)


    Das Thema dann im Kreistag diskutieren lassen und hoffen, daß man sich auf Euren Vorschlag einlässt...


    dürfte aber eine zeitraubende Angelegenheit werden.
    Aber grundsätzlich gesehen ist das ja mal nicht das Problem eines VT-Dienstleisters, sondern das des Veranstalters. Ob dieser wegen der 95dB-Regelung dann weniger Veranstaltungen macht, glaube ich nicht, höchstens andere....

  • Das vitale Interesse ist schon da, nur denke ich, dass wir uns selbst an die Nase fassen müssen. Es gab (gerade im Diskobereich) jahrelang Versuche das ganze 'freiwillig' zu regeln.
    Nur leider haben alle (Veranstalter, Bands, Verleiher) zu lange 'größer, greller, lauter' gespielt.
    Im übrigen sind 95dB (oder gar 93dB?) Leq in der Schweiz seit langer Zeit Standard, und da geht es auch irgendwie.


    Tomy

    SIM II Operator and Dante Level I-II-III (alles sogar zweimal :)
    Jugendschwimmabzeichen, Rettungsschwimmabzeichen in Bronze
    Meine kommerziellen Softwareprodukte SATlive und LevelCheck

  • Zu den Vorschlägen von Mringhoff fällt mir noch ein: die Verantwortlichen selber zu Opfern machen. Indem man sie z. B. bei einer eingeladenen Stellungsnahme oder schlicht bei der nächsten Wahlkampfveranstaltung mit 95 dB beschallt. Bei lauten Publikum (das kann man ja "ein wenig steuern") sind die Herren nicht mehr zu hören. Auf solche Erfahrungen folgen dann erfahrungsgemäß sehr schenll Taten...