So, nach einem Jahr intensiveren Experimentierens habe ich mich entschlossen, euch diese kleine Idee nicht vorzuenthalten:
Der Deboinker .
Der Wunsch, eine kurze, knackige Snare zu hören, mit schönem "Krack", sattem kurzem Grundton und einem präsenten und gleichzeitig dichten Teppich ohne das typische Jaulen und Boingen, wie es durch schlechtes Stimmen, miese Felle, dröhnige Kessel und unmotivierte Drummer entsteht und uns gerne als "natürlicher" Klang verkauft wird, zu hören, wird leider für eine Mehrzahl von uns zu selten erfüllt. Der Wunsch nach Stimmen des Instruments wird für gewöhnlich mit einem kurzen aber bestimmten: "Des ghört so" erstickt. Seit vor einigen Jahren der Transient Designer geboren wurde, schöpfen einige von uns Hoffnung dem ein klein wenig begegnen zu können.
Hier der Weg mit relativ konventionellen Mitteln dem Phänomen 'Boing' entgegen zu treten.
Wir bauen uns
1. ein 'time crossover', eine Zeitweiche mit der wir den Pegelverlauf der Snare über die Zeit manipulieren
2. ein 'frequency crossover', eine Frequenzweiche, mit der wir den Frequenzgang über die Zeit manipulieren
Wir nehmen ein ordentliches, nicht zu präsenzbetontes Snaremikro, z.B. ein Audix D3,D1, Sennheiser e905 u.s.w., dazu einen Compressor mit regelbarer 'attack' und 'release' Zeit, z.B. einen dbx 1066. Jetzt kommt das Schwerste: Wir verabschieden uns von der dämlichen aber immer wieder zu lesenden Vorstellung, ein percussives Signal bräuchte unbedingt eine kurze 'attack' Zeit. Das ist Quatsch !!! Statt dessen machen wir Folgendes: Zunächst stellen wir eine hohe Kompressionsrate ( 6:1 ) und einen niedrigen Threshold sowie die kürzeste attack zeit und eine mittlere release Zeit ein und machen damit die Snare erst mal völlig platt. Dieser fast 'wegkomprimmierten' Snare öffnen wir nun auf der Zeitachse ganz vorne ein Fenster, in dem frühe Anteile ( unser ersehntes 'Krack' ) unkomprimiert durchkommen, in dem wir die attack Zeit deutlich verlangsamen. Das 'Krack' wird jetzt also wegen des "zu langsamen" attacks nicht komprimiert, das spätere 'Boing' jedoch maximal komprimiert ! Die release Zeit stellen wir nach dem Tempo des jeweiligen Stückes so ein, dass sich der Kompressor bis zum nächsten Schlag gerade wieder erholt. Das so erzeugte Signal klingt schön knackig, der laute Anfangsteil ist quasi unkomprimiert (!), allerdings fehlen ein wenig Höhen und vor allem der Teppich.
Um dem Teppich zu seinem Recht zu verhelfen, lasst euch bitte dieses wunderschöne Billbo-Zitat auf der Zunge zergehen:
Zitat von "billbo".....- Du versuchst den Snareteppich hörbar zu machen, indem Du hohe Frequenzbereiche im Kanal anhebst. So fatal wie oft gesehen. Da oben ist kein Teppich! Bevor Du den hörst, hörst Du alle hohen Frequenzen der Umgebung. Und eine HiHat hat viele hohe Frequenzen....
Wenn Du einen teppichlastigen Snaresound wünscht, nutze das Snare Bottom Mikro; dazu wurde es erfunden. Bei Kanalmangel tut’s dafür notfalls schon ein in einem Zweig polaritätsgetauschtes Y – Kabel. Nicht ideal; aber ALLES ist besser als der Versuch, durch heftiges selektives Anheben bestimmter Frequenzbereiche mit einem Mikro etwas übertragen zu wollen, was nicht da ist.
- Überprüfe kritisch, was Dein Kanalkompressor macht. Klingt banal, ist aber in Zeiten unbegrenzter Digitalpultkompressorflut ein typischer Anwenderfehler, den man auch bei gestandenen Profis immer wieder beobachten kann......
Ich gestehe, dass ich 30 Jahre Snare mit nur einem Mikro gemacht habe und das Bottom Mic unnötig fand.... und natürlich habe ich am Snare-Mic kräftig Höhen angehoben..... :oops: :oops:
.....allerdings hat mich die oben begonnene Taktik endlich auf die Spur gebracht. Um den Teppich wiederzuholen, den wir nun mit dem Boing zusammen wegkomprimiert haben, brauchen wir das Bottom Mic ! Wir lassen das Snare Top Mikro oben herum flat, unterstützen den Deboink-Effekt, indem wir nur wenig all zu hohl klingende Mitten heraus nehmen und lassen das Top mic sonst am EQ unbearbeitet.
Als Bottom mic habe ich viel ausprobiert: AKG C451B, CK91, CK93, C535EB, C414TLII, C414XLS, beyerdynamic M201, M420, M422, Neumann KM140. Die Kondensatormikros natürlich mit der maximal möglichen Vordämpfung. Ergebnis: Allgemein waren alle Supernieren sehr viel besser, was Übersprechen von HH oder Bassdrum oder sonstiger Umgebungsgeräusche angeht als die Nieren. Am besten gefallen haben mir die billigste Variante ( M422 ~ 40 € gebraucht ) und die teuerste ( AKG 414 TLII in Supernierenpos. mit stärkster Tiefenabsenkung ~ 550 - 650 € gebraucht). Bei beiden Mikros war sowohl die Nahefektkompensation, die am M422 am ausgeprägtesten ist, als auch die Höhenanhebung ( beim 422 ein "peak" bei 8k ) sehr nützlich.
Dann benutzen wir den Kanal-EQ als Weiche. Für Pulte mit regelbarem hochpass empfehle ich diesen bis 600Hz hochzukurbeln, bei einfacheren Pulten Bässe weg und lowmids weg, schon gibt es kein 'Boing' mehr auf dem Bottom Mic ! Danach fügen wir ganz nach Geschmack und ohne schlechtes gewissen ein paar Höhen hinzu und schieben das dezent zum Top dazu. Man braucht wirklich nur eine kleine Portion . Mit einem weiteren Kompressor und kurzer attack Zeit habe ich nicht so gute Ergebnisse erzielt, obwohl der Gedanke, einen Kompressor auf der Zeitachse erst "nach" dem 'Boing' für den Teppich zu öffnen, nicht ganz verkehrt ist. Viel besser hat das mit einem Gate und verlangsamter attack Zeit des selben geklappt...
So, bevor wir das jetzt diskutieren, empfehle ich dringend ein paar eigene Experimente. Ich denke die Richtung ist klar. Wenns nicht gleich klappt.... drann bleiben..... und für die, die schon alles wissen und alles kennen.... Ich bin ein alter Sack und lerne trotzdem noch dazu ... :wink: