Weil das von ERICH gerade wieder thematisiert wurde und ich hierzu vor einigen Wochen eine kleine Testreihe durchgeführt habe hier mein etwas ausführlicher Senf dazu:
Ich schicke zum Verständnis mal meine "Einteilung der Großmembranen" voraus, die eine rein praktisch, empirische und keine fertigungstechnische oder analytische darstellt, sich auch so in keinem Lehrbuch finden lässt, sich aber als sehr nützlich für Überlegungen zum Verwendungszweck erwiesen hat.
1. Großmembranen für Gesang
weisen typischerweise eine Hochtonanhebung in dem Bereich auf, in dem die Membran aufgrund ihrer Größe nicht mehr als Druckgradientenempfänger, sondern als reiner Druckempfänger arbeitet und die Richtcharakteristik bei Grundcharakteristik 'Niere' schon Richtung Superniere abweicht. z.B. AKG 414-B XLII oder TLII, AT 4050
2. Großmembranen für Instrumente
idem ohne den o.g. Höhenpeak, sind oft nicht so linear wie Kleinmembranen, sondern weisen als Niere jeweils für sie charakteristische „Mittenbuckel“ und typische „Unstetigkeiten“ in der Richtcharakteristik über die Frequenz auf. Z.B. AKG 414-B XLS/ULS, AT 4033
3. Großmembranen für Schönfärberei
weisen eine Delle im Bereich des empfindlichsten Hörens auf ( 4-5 Khz ) und die Richtcharakteristik ist entsprechend diesem on-axis Pegelverlust an der Stelle etwas Richtung ‚breite Niere’ aufgeweitet. Sie klingen dadurch seidiger und irgendwie etwas „layed back“ z.B. Neumann TLM 170i/R, Gefell M930
Zurück zur E-Gitarre. Mein kleiner Test hatte zum Zweck folgende Fragen zu beantworten:
1. Was ist an den Vorurteilen dran, Großmembranen seien für diese Anwendung zu feedbackempfindlich, sind im Bass zu schwammig, nehmen zuviel Umgebung mit auf, bringen live keine Vorteile gegenüber dynamischen Mikros, taugen nichts für Nahmikrofonie.
2. Gibt es Großmembranen, die besonders geeignet/ungeeignet sind ?
3. Wie sieht es mit der Verwendbarkeit von preiswerteren Modellen aus ?
Natürlich stellte sich die Frage früher nicht so sehr, weil die erhältlichen Vertreter dieser Gattung für die live Anwendung einfach zu teuer waren. Interessant wird die Frage ja erst durch die vielen preiswerteren Modelle, die inzwischen auf dem Markt sind, sodass auch alte Hasen diese Frage neu aufrollen sollten. .
Wir haben also folgende Großmembranmodelle nah ( 2cm ) auf die Mitte des Radius also genau zwischen Dom und Sicke eines Speakers vor ( denselben ) Amp ( Fender Twin ) gestellt:
AKG 414 B-XLS ( ca. 800 € )
AT 4050 ( ca. 650 € )
AT4033 ( ca. 360 € )
RODE NT2-A ( 333 € )
Neumann TLM 170i ( 2300 € )
und natürlich die dynamischen
Shure SM 57 ( ca 100 € )
Shure SD 548 ( nicht mehr erhältlich )
EV PL/RE20 ( ca 450 € )
Beyer M69 ( ca 180 € )
Beyer M88 ( ca. 300 € )
Ja, ich weiß, man hätte noch dieses oder jenes weitere Mikro testen können, aber wir wollten das auch für uns überschaubar halten.
Wir haben zunächst in einem Bandproberaum via Multicore zu einen anderen Gebäudeteil und mit Kopfhörer getestet, um ein möglichst o-tonfreies Signal zu haben. Zweck war nicht nur der klangliche Vergleich sondern das Einsprechen des Bandsounds in das Testmikro herauszuhören. Dafür war das Drumset etwa 3 Meter vom Amp weg etwa 10° off axis von der Mikrofonrückseite und der Vocalmonitor ebenfalls 10°off axis ebenfalls auf der Mikrofonrückseite. Das bevorzugt weder die Nieren noch die Hypernieren in der Rückdämpfung. Kanal-EQ flat. Alle Mikros wurden im A-B-Vergleich jeweils gegen das SM57 und das 414 XLS getestet. Zwei „nur“-Musiker und zwei Tonleute haben gehört.
Ergebnis:
Alle getesteten Modelle waren problemlos „nahmikrofonietauglich“ ohne hörbare Verzerrungen. Alle getesteten Modelle waren für laute Quellen und mit ordentlichen Lautsprechern ( test mit d&b Q10 in Clubtypischer Entfernung 4m ) völlig unproblematisch was den „gain before feedback“ angeht.
AKG 414 B-XLS
In Nierenposition cleaner, neutraler Gitarrensound, Nahmikrofonie problemlos, Bassabschwächung wegen Naheffekt eingeschaltet, Vordämpfung – 10dB, tolle Dynamikabbildung. Umgebungsgeräuschunterdrückung Platz 3.
AT 4050
In Nierenposition ähnlich dem Vorgänger, Bassabsenkung eingeschaltet, aber ( wie zu erwarten ) zu viel Höhen, braucht unbedingt Absenkung oberhalb 7Khz Umgebungsgeräusche Platz 5.
AT 4033a
nicht ganz so plastisch wie das 414 aber trotzdem sehr brauchbar, milde Höhenabsenkung 12 kHz -5dB macht es zum Gitarrenmikro. Keinesfalls schlechter in dieser Anwendung als das 4050, Umgebungsgeräusche Platz 4
RODE NT-2A
In Nierenposition Für mich das E-Gitarrenmikrofon !!! durch mikrophoneigene, geringfügige Anhebung bei 300 Hz und 3-4-Khz kein Wunsch zum Griff an den Kanaleq, Bassabsenkung 80Hz, Vordämpfung -10dB, sehr druckvoll und dynamisch, Abbildung „wie mit dem Messer geschnitten“, wer Spass an druckvollen singlenotes und eleganten soli aus einem mesa boogie hat, sollte das mal probieren !!! Umgebungsgeräuschunterdrückung Platz 1 !!!
Neumann TLM 170i
Klingt sauber aber etwas zurückgelegt. Kein typischer „E-Gitarrenübertrager“ etwas mehr Umgebungsgeräusch als die Vorgänger und damit Platz 8
Insgesamt klangen die Kondensatormodelle alle druckvoll und irgendwie, als wäre endlich die Watte aus den Ohren.
SM 57
Niere. diente während des Tests als AB-Referenz. Es war das mit Abstand am schlechtesten klingende Mikrofon und, was uns alle überraschte: es nahm mehr Umgebungsgeräusche auf als alle anderen getesteten Mikrofone ! ( Platz neun )Nein es war nicht kaputt, sondern ein zweites SM57 hatte im Gegentest die gleichen Eigenschaften. Das 57-typische „präsenzdoppelhügelchen“ klang im Vergleich zu allen anderen Mics eher klepprig. Fazit: ( Ton- ) mann sollte nicht so viel rider abschreiben und öfter mal was Neues probieren.
SD 548
Niere. Schöne, druckvolle untere Mitten im Präsenzbereich etwas anhebungsbedürftig klingt aber mit +4dB bei 4khz erfreulich jugendlich trotz des Alters von 30 Jahren. Umgebungsgeräusche Platz 7 gemeinsam mit M69
RE/PL20
Niere. Sehr neutral, springt einem nicht so an wie die Kondensatormodelle, braucht deutliche Präsenzanhebung + 5dB bei 3 Khz aber kriegt für die gut unterdrückten Umgebungsgeräusche Platz 2 !
M69
Superniere. Mein jahrelanges Lieblingsmikro an der E-Gitarre hat mich auch etwas enttäuscht. Braucht ganz ordentlich Lowmidanhebung ( die ich auch immer hatte ) sonst eher grell, nicht so druckvoll wie die „Kondensatoren“ und irgendwie etwas zweidimensional. Umgebungsgeräusche mittelprächtig. Platz 7 gemeinsam mit SD 548
M88
Superniere. Untenrum sehr dick, fast zu dick. Sonst klanglich, auch was den Dynamikeindruck angeht, am nächsten an den Kondensatormikros. Umgebungsgeräusche werden nicht so gut unterdrückt wie beim PL20. Platz 6
Echte Billiggroßmembranmikrofone ( unter 300 € ) habe ich nicht getestet. Sicher kann man noch einige Euro sparen, indem man auf die umschaltbare Richtcharakteristik verzichtet und eine reine Niere nimmt. ( z.B. Rode NT1A ) Man sollte aber dabei unbedingt auf Folgendes achten:
1. Stellt der Hersteller Daten zur Verfügung, die es zulassen, die Richtcharakteristik in Abhängigkeit von der Frequenz zu beurteilen ? Stellt der Hersteller Daten zur Verfügung die eine Zuordnung zu den oben genannten Gruppen zulassen ?
2. Grenzschalldruck. Nicht jede Billiggurke kann 140 dB, die es für die live- Nahmikrophonie am Gitarrenlautsprecher braucht. Auch stimmen die Angaben manchmal dahingehend nicht, dass das eigentliche Membransystem das zwar kann, aber der Vorverstärker das nicht mitmacht. Daher unbedingt ausprobieren ( die entstehende Verzerrung beim Überschreiten ist wirklich scheußlich ).
Natürlich ist dieser Mikrofontest für Gitarrensounds, bei denen möglichst wenige Akkorde möglichst laut und schnell geschrabbelt werden, nicht so relevant. Ich empfehle hier weiter beim so genannten Standard zu bleiben.
Schön würde ich es finden, wenn sich einige aufgefordert fühlen, von eigenen Tests mit preiswerten Modellen zu berichten. So würden mich die preiswerten AT Modelle der 30- serie, das AKG perception 200, die MXLs, oder der eine oder andere Chinese schon interessieren. Einfach mal neben das gewohnte sm57 oder 606 stellen und horchen. :wink: