Wie man heute Mischen lernt ...

  • Eigentlich ist es gar nicht so schwer, wenn man ein gutes Konzept im Kopf hat, doch wo soll das her kommen, wenn man wenig Ahnung und keinen guten Lehrer hat?


    Wenn ich die letzten Jahre meines "Schaffens" so zurück blicke und jungen wie auch älteren Mischaspiranten so über die Schulter schaue, dann haben (tut mir leid, das sagen zu müssen) zwei Drittel davon kein wirklich klares Konzept vor Augen, wie Ihre Aufgabe zu erledigen ist. Wer an dieser Stelle denkt: "Ist doch egal wie, Hauptsache es klingt", darf an dieser Stelle sofort aufhören, weiter zu lesen.



    Kein Konzept ist:


    - Ich habe im Heimstudio aufgenommen und gehe mit den dabei gemachten Erfahrungen die erste Band mischen

    - Ich habe das im Proberaum hin bekommen, wieso sollte das nicht auf dem Gig funktionieren

    - Ich habe das Mischpult der Schulanlage bedient. das war garnicht schwer

    - Ich habe schon ziemlich viele Guggstdu Videos geschaut, ich weiß wie die das machen.


    Das häufigste Konzept, das man von erfahrenen Kollegen hört, ist:

    Lerne erst mal auf einem analogen Mischpult mischen. Begründung: Man versteht leichter den Signalfluß und kann sich aufs Wesentliche konzentrieren. Das ist wahr und falsch. Wahr ist, dass man auf einer klar strukturierten analogen Oberfläche alles findet, was man als Anfänger so kennen sollte, aber die Gerätegattung stirbt aus und ist daher nicht mehr repräsentativ und man kann sich auch an einem digitalen Gerät aufs Wesentliche konzentrieren, wenn man einen guten Plan hat. Um diesen Plan wird es im Folgenden gehen.

  • Öhm, ... :|


    das Thema ist durchaus sehr komplex und damit lassen sich ganze Bücher füllen ... und man muß den Bogen weitaus weiter spannen ... dazu gehört auch detaillierte Ahnung von Lautsprecher Technik. Genau so wie von Musik Instrumenten jeglicher Art. Wie funktioniert welche Musik (Richtung) ... . Dazu muß man noch ab Mikrofonieren können. Zudem sind klassische Herangehensweisen vom Arbeiten auf Analog Pulten zum teil gar nicht mehr übertragbar auf Digital Pulte. Das heute einem mal auf 'freier Wildbahn' jemand am Digitalpult begegnet der mischen kann wird auch eher seltener ... und das ist durchaus nicht am alter der Personen fest zu machen !


    corn* Schotte

  • Ich nehme mal an, du möchtest gerne persönliche Erfahrungen zu diesem Thema hören und da das bei mir nicht all zu lange her ist kann ich mich auch noch dran erinnern.


    Ich habe dem Kollegen in einem kleinen Club 2 Jahre lang über die Schulter geschaut bis es irgendwann hies: "mach du heute mal". So lief das dann ein Jahr lang mit verschiedensten Bands aus allen möglichen Musikrichtungen aber natürlich immer mit einem wachsamen Auge und Ohr auf das was ich Tue.

    Dabei trifft man auch erstaunlich viele Menschen die einem wertvolle Tips und bewehrte Workflows mit auf den Geben. Außerdem kann man die erfahreneren Musiker auch mal nach Feedback fragen.


    Natürlich ist man am Anfang noch Welten von einem guten Mix entfernt und perfekt wird es nie aber so lange man Ambitionen hat, versucht bei jeder Show etwas neues zu lernen und sich nicht scheut die erfahreneren Kollegen um Rat zu fragen ist Mischen für mich das perfekte Beispiel zum Thema learning by doing und zwar ein Leben lang


    So stellt jeder mit der Zeit seinen eigenen Werkzeugkasten aus dem Repertoire vieler zusammen und erweitert ihn mit jedem Aha-Moment den man hinterm Pult so hat.


    Schade ist, dass viele Kollegen in meinem Alter sehr schnell zum Entschluss kommen, sie könnten schon alles, die Erfahrung älterer Kollegen nicht mehr wertschätzen und die Steigung ihrer Lernkurve somit ganz schnell gegen o geht.

    Wer nicht will, der hat schon.

  • Da bin ich gespannt welche Strategie du verfolgst beim Mischen … solche Diskussionen können super Spannend sein.


    Ich bin ja großer Fan von zuerst mal mit dem Mikro den Sound möglichst da hin zu bekommen wo man ihn haben will. Ich tausche da auch mal während dem Soundcheck mal ein Mikro aus, wenn ich das Gefühl habe das ein anderes an der Stelle besser wäre.


    Wenn das Signal ins Pult dann gut kommt und die Band was drauf hat, die Anlage nicht Mist ist und die Akustik halbwegs stimmt, dann kann schon nicht mehr soooooo viel schief gehen.

  • Ich finde das ist ein Konzept:

    - Ich habe im Heimstudio aufgenommen und gehe mit den dabei gemachten Erfahrungen die erste Band mischen

    - Ich habe das im Proberaum hin bekommen, wieso sollte das nicht auf dem Gig funktionieren

    - Ich habe das Mischpult der Schulanlage bedient. das war garnicht schwer

    - Ich habe schon ziemlich viele Guggstdu Videos geschaut, ich weiß wie die das machen.

    Das um und auf ist Erfahrung + Background Wissen.

    Deshalb finde ich die Summe der Aufzählungen schon als Basis, auf der weitergelernt werden kann.


    Wir haben doch alle selbst diese Stadien durchgemacht oder?


    Ob es analog zum Lernen braucht denk ich nicht. Das Verständnis über Signalfluß lässt sich mit einem Blockdiagramm oder einer DAW auch lernen...


    Bei ein Pult schau ich mir immer zuerst das Blockdiagramm an. Und deshalb mag ich auch keine Hersteller die dieses nicht angeben!!!

    OK im Digizeitalter wird's mit den Möglichkeiten auch Komplex... Aber trotzdem gibt es (wenn auch wenige) Hersteller, die konsequent das Blockdiagramm veröffentlichen.

    Das finde ich Top!

  • Ein je nach Musikstil absolut wichtige, aber in der Praxis fast nie zu erlebende Vorgehensweise ist einfach erstmal auf die Bühne gehen und dort das Instrument in Natur anhören.


    Dann hat man zurück am Pult einen sehr guten Eindruck, was Mikrofonierung und Raumakustik mit dem Signal so machen.


    Und es gibt einem (wenn dann Mikrofonposition,... passen) ein sehr gutes Ziel für die Klangbearbeitung, auch wenn man diese Instrumentenart selber evtl. vorher noch nie vor sich hatte.


    Zumindest bekomme ich so meines erachtens einen stimmigeren Klang zustande, als Leute die hinterm Pult

    hocken bleiben.


    Das mag bei Rock und Pop egal sein, bei Folk und Co. mach ich das aber sehr oft.


    Um den Bogen zum Thema zu schlagen - erst original hören, dann das Mischen beginnen. Das Pult ist nur ein Werkzeug im Prozess und dessen Bedienung eigentlich relativ langweilig.

  • Nun ja, will man 1:1 den Originalklang lauter machen?
    Für mich am wichtigsten: Ein Bild im Kopf zu haben, wo man hinwill. 'Alle Instrumente sind zu hören' ist nicht automatisch ein guter Sound.

    SIM II Operator and Dante Level I-II-III (alles sogar zweimal :)
    Jugendschwimmabzeichen, Rettungsschwimmabzeichen in Bronze
    Meine kommerziellen Softwareprodukte SATlive und LevelCheck

  • Ich habe ja auch mit einer Mischung aus den genannten „nicht Konzepten“ angefangen und mir damit auch meinen fair Share an blauen Flecken und Häme abgeholt.


    Das kann man erst mal so machen, und dann entscheiden ob es nicht doch cleverer ist ein Konzept zu verfolgen.


    Heute wäre vermutlich die YouTube Universität für die ersten Stunden sinnvoll, wenn man jemand hat der einem sagt welche Videos tauglich sind.


    Ansonsten versuche ich jüngeren Menschen immer erst mal die Liebe zur Reduktion zu vermitteln.

    Nicht jeder Knopf den es gibt muss bedient werden, nicht jede Option des Pultes genutzt.


    Ansonsten kann man heute eigentlich die Jugend mit einem CQ18t ins Jugendzentrum schicken, und wenn das dann ordentlich klingt und sie selbst den „Profi Modus“ gefunden haben kommt der nächste Schritt.


    Noch ist das Wissen über die gain Struktur wichtig, die jetzt jungen Menschen werden das den Nachfolgern vermutlich nicht mehr erklären müssen dank besserer Technik und Automation. Das passiert mit anderen Dingen sicher auch noch.

    Privater Account mit meiner persönlichen Meinung.

    Sollte es ein Problem mit meiner Neutralität zu einem Thema geben mache ich das im Beitrag kenntlich. :thumbup:

    http://www.noon.ruhr


    Application Support Engineer - HK Audio

  • Ein je nach Musikstil absolut wichtige, aber in der Praxis fast nie zu erlebende Vorgehensweise ist einfach erstmal auf die Bühne gehen und dort das Instrument in Natur anhören.


    Dann hat man zurück am Pult einen sehr guten Eindruck, was Mikrofonierung und Raumakustik mit dem Signal so machen.


    Und es gibt einem (wenn dann Mikrofonposition,... passen) ein sehr gutes Ziel für die Klangbearbeitung, auch wenn man diese Instrumentenart selber evtl. vorher noch nie vor sich hatte.


    Zumindest bekomme ich so meines erachtens einen stimmigeren Klang zustande, als Leute die hinterm Pult

    hocken bleiben.

    Das empfinde ich zum Beispiel als falschen Ansatz. Im Gegensatz zu realen Schallquellen im Raum, die sich physisch nicht an der gleichen Stelle befinden können, tröpfelt bei den meisten Beschallungsanlagen alles aus zwei Punkt- oder (Pseudo-)Linienquellen heraus. Mit der Ausnutzung von psychoakustischen Effekten (Haas) kann man daraus ein zweidimensionales Schallfeld erzeugen. Das ist aber nur ein unvollständiges Abbild, was niemals die gleichen Informationen liefern kann, wie im Raum verteilte Schallquellen.
    Ich habe mehrfach Personen gelauscht, bei denen die einzelnen Signale klar und natürlich klangen, aber der Mix aus diesen Signalen ein unerträgliches Schallmus war. Bei anderen klangen die einzelnen Signale wie verbogene Silhouetten der eigentlichen Quellen, der Mix war aber aufgeräumt und alle Komponenten klar definiert und präsent. Und dann gibt es noch alles dazwischen.


    Was ich eigentlich sagen will:

    Die Aufgabe der Mischpultbedienenden ist es nicht, das Geschehen möglichst naturgetreu umzusetzen, sondern ein möglichst gangbares / gefälliges / interessantes / Abbild zu schaffen - wie auch immer sie das anstellen.


    Mischen zu lernen ist heutzutage vermutlich so komplex und zugleich einfach, wie es nie zuvor war. Komplex, weil selbst günstigste Pulte eine Vielzahl an Optionen bieten, die auch entsprechende Kenntnisse in der Signalverarbeitung voraussetzen. Und einfach, weil Jedermann und Jedefrau heute Multi-Track-Recordings machen können und nicht die Basics am realen Objekt erlernen müssen. Die Auswirkung verschiedener Mikrofontypen und Positionen oder unterschiedlicher Effekte und Signalbearbeitungen lassen sich im A-B-Vergleich ganz ohne genervte Musiker ausprobieren.


    Vor 20 Jahren erklärten einem Menschen die Funktionen aller (Dreh-)Knöppe, die oftmals selbst nicht so genau wussten, was eigentlich mit dem Signal passiert - während dem Schlagzeuger auf der Bühne langsam das Bass-Drum-Bein abgestorben ist. ;)

  • Ein Problem ist, dass viele junge Leute glaub gar nicht mehr wissen, wie etwas richtig klingt.

    Wer jahrelang nur über die Smartphonequäke oder über BoomBoom Bluetoothkisten Musik konsumiert, hat keinerlei Vorstellung von ordentlichem Klang.


    Ich habe in den 80er Jahren damals aber schon auf die von GUMA skizzierten Wege angefangen. Wie vermutlich viele. Technik ("Gesangsanlage") bei Schulband/Musikverein betreut und so in das Meier reingewachsen. Das halte ich auch heute nicht für vollkommen verkehrt, inklusive der Fehler die man damals gemacht hat.


    Das Problem ist die Selbstwahrnehmung. Wer mal drei Mikros an einem Powermischer laut gemacht hat, ist nicht automatisch befähigt, eine Kapelle zu mischen. Und wer ein- oder zweimal zufällig an einem M32 stand, übrigens auch nicht.

  • Zwei Dinge sind meiner Meinung nach wichtig, um musikalische Ereignisse gut abzumischen.

    Erstens ist es natürlich das Handwerkliche. Mikrofonierung, Routing, Gainstruktur, Klangbearbeitung, Feedbackvermeidung etc.

    Zweitens aber auch das Gefühl für das, was da musikalisch passiert. Nur dann bin ich in der Lage, zu entscheiden, was ich jetzt tun muss, um der musikalischen Darbietung zu dienen. Und wenn es auch nur heißt, die Fader heute mal alle ganz unten zu lassen.

  • Prinzipiell schadet es auch nicht selbst Musiker zu sein. Da hat Mann auch ein besseres Gespür wer was jetzt macht, warum und was da gerade so passiert.


    Am schlimmsten ist es aber wenn der Sound oder der Lightoperator kein Taktgefühl hat und so seine Einsätze immer mal wieder knapp verfehlt oder das Tabdelay völlig aus dem Ruder läuft.

  • Wer an dieser Stelle denkt: "Ist doch egal wie, Hauptsache es klingt", darf an dieser Stelle sofort aufhören, weiter zu lesen.

    Hmmm... , wenn jemand ohne jegliches Konzept hinbekommt das "es klingt" ,

    dann kann ich diese Person nur beneiden ...

    Ansonsten , was ist denn eigentlich "richtig mischen" ?

    Oder spielen da vielleicht persönliche Vorlieben bzw. Wahrnehmungen eine Rolle ?

    Gleichschritt funktioniert mit mir nicht

  • Hmmm... , wenn jemand ohne jegliches Konzept hinbekommt das "es klingt" ,

    dann kann ich diese Person nur beneiden ...

    Ansonsten , was ist denn eigentlich "richtig mischen" ?

    Oder spielen da vielleicht persönliche Vorlieben bzw. Wahrnehmungen eine Rolle ?


    Naja, wie man hier wieder sieht ist offensichtlich nicht jeder befugt ein Mischpult zu bedienen.

    Man muss ja erstmal Große Konzepte haben und viele Stufen durchlaufen um die erlaubnis zu erhalten.


    Aber Ja, Wenn es ohne Konzept klappt das alles stimmig ist und klingt: Sehr gut gemacht und immer so weiter machen :)



    @mischpultschorsch Das hat nichts damit zu tun wie man das hört.

    Der Geschmack hat sich immer wieder geändert und wird sich auch immer wieder verändern. Ich traue übrigens guten BT-Lautsprechern einen besseren Klang zu als den PA Anlagen der 70er/80er Jahre ;)

  • Für mich (und das sage ich in meinen Workshops auch immer)

    - Ein Bild haben, wo ich hin will. D.h. den Musikstil kennen und auch schon mal gehört haben.

    - Wissen wie man da hin kommt. Das kann man nur schlecht lernen, hier hilft Erfahrung

    - Technisches/Handwerkliches know-how, je nach Art der Arbeit mehr oder weniger wichtig, Gain-Struktur und Routing sollten aber beherrscht werden.


    Ansonsten sage ich immer, dass es meine Stärke sei, dass ich unmusikalisch bin wie, (von Außnahmen wie Jazz abgesehen), die Zuschauer auch. Die haben eine Klangerwartung die es zu treffen gilt (oder sie mit guten Alternativen überraschen, z.B. mal eine Rockkonzert, dass man auch ohne Gehörschutz genießen kann).
    Und am Schluß noch das Erlebnis, dass mich da am meisten geprägt hat:
    Soundcheck bei einem Punkt-Festival in einer abgrockten Turnhalle. Ich am Pult, rechts und links von mir jeweils ein Musiker. Musiker links: Die Stimme brauch mehr Höhen, Musiker rechts (fast zeitgleich, durch den 'Lärm' konnten sie sich nicht gegenseitig hören): Die Stimme hat zuviel Höhen. Seitdem verlasse ich mich auf mein Empfinden :)

    SIM II Operator and Dante Level I-II-III (alles sogar zweimal :)
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  • Und wenn ein Gitarrist neben dir steht, ist im Mix immer zu wenig Gitarre :)

    Ich lasse mich von Hörgewohnheiten einzelner Musiker auch nur bedingt leiten, ich nehme aber immer

    gerne gut gemeinte Hinweise entgegen, wenn es spezielle Dinge in der Band gibt, zum Beispiel Soli,

    Effektzuspielungen etc. Ansonsten schließe ich mich Tomy's Meinung an.

  • Ein Problem ist, dass viele junge Leute glaub gar nicht mehr wissen, wie etwas richtig klingt.

    Wer jahrelang nur über die Smartphonequäke oder über BoomBoom Bluetoothkisten Musik konsumiert, hat keinerlei Vorstellung von ordentlichem Klang.

    Ja, früher war alles besser:

    Mal ganz zu schweigen von bei Zimmerlautstärke vor sich hin zerrenden Kassettenabspielgeräten, abgenudelten Schallplattentonabnehmern und den allseits beliebten 15/3-Beschallungsmöbeln… 😉


    Herzlich willkommen in der wundersamen Welt der Pauschalaussagen.

    Freelancer für Audio Beschallung/Recording seit 2003 - Alle Beiträge spiegeln meine persönliche Meinung/Erfahrung als von Herstellern & Vertrieben unabhängiger Tonmensch wieder